„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu gebrauchen!“ war der zentrale Appell der Aufklärung formuliert von Immanuel Kant. Doch was bedeutet der Begriff Aufklärung? „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmüdigkeit“ .
Nicht nur Immanuel Kant, sondern auch Gotthold Ephraim Lessing stellte seine Kunst in den Auftrag der Aufklärung.
Zu seinen bekanntesten Werken zählt u. a. Emilia Galotti, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen. In diesem Drama kritisiert er die gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit.
In den folgenden Szenen III,3-III,5 von Emilia Galotti soll diese Kritik herausgearbeitet werden.
Die Szene III,3 beginnt mit dem Auftreten von Marinelli und dem Prinzen. Der Prinz beobachtet von seinem Lustschloss aus die Bürgerstochter Emilia, wie sie auf das Schloss zu eilt auf der Flucht vor den Räubern. Dabei erkundigt sich der Prinz bei Marinelli über das weitere Vorhaben. Doch bevor sie ausreichend über das Thema diskutiert haben, nähert sich Emilia dem Schloss. Daraufhin bittet der Prinz Marinelli sie zu empfangen und die Szene wechselt.
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Auch Marinelli möchte nicht der erste sein, der Emilia empfängt, so zieht er sich in einem Winkel des Saals zurück und beobachtet die Ankunft. Als Emilia hereingestürzt kommt und bemerkt, dass ihr niemand gefolgt ist, beschließt sie ihren Gemahl und ihre Mutter zu suchen.
Durch das plötzliche Auftreten von Marinelli ist Emilia zuerst irritiert und lässt sich aber dann von ihm überreden zu bleiben. Um Emilia weiterhin zu beruhigen wird der Diener Battista auf die Suche nach ihrer Mutter und ihrem Verlobten geschickt. Im weiteren Verlauf entwickelt sich der Dialog zu einem Enthüllungsdialog zwischen Marinelli und Emilia, als sie bestürzt erfährt, dass sie zum Lustschloss des Prinzen gebracht wurde.
Die Szene wechselt erneut und der Prinz eilt scheinbar besorgt herein. Er versucht die aufgebrachte Emilia zu beruhigen und bringt sie in ein Zimmer. Die Szene endet mit dem Aufeinandertreffen von Marinelli und Battista.
Um die Kritik an den gesellschaftlichen Strukturen herauszufinden, muss man die einzelnen Szenen genauer betrachten und analysieren.
Die drei zu bearbeitenden Szenen spielen in Dosalo auf dem Lustschloss des Prinzen. Ausgehend von der Bühnenbetrachtung hat das Schloss nicht nur einen dekorativen Wert, sondern auch einen symbolischen. Wenn man die beiden Substantive des Wortes „Lustschloss“ trennt, hat man das Wort „Lust“ und „Schloss“. Meines Erachtens steht das Schloss als Symbol für die Macht des Prinzen und das Wort Lust für dessen Begierde.
Wenn man den historischen Hintergrund betrachtet, fällt auf, dass wichtige Entscheidungen in Politik, Wirtschaft, und Gesetzgebung, aber auch kulturelle Entscheidungen souverän von den Einzelstaaten und ihren absolutistischen Machthabern getroffen wurden. Da der Prinz ein sehr einflussreicher Mann ist, will er auch Emilia zu seinem Besitz machen, weil er sie begehrt. Die Begierde des Prinzen äußert sich dadurch, dass er Emilia gegen ihren Willen haben möchte und nicht auf ihre Gefühle achtet.
Das Emilia nicht freiwillig zum Schloss des Prinzen kommt, wird schon im ersten Dialog zwischen Marinelli und dem Prinzen deutlich. Der Prinz eröffnet das Gespräch mit dem Hinweis, dass Emilia gleich zum Schloss gelangen wird und sagt, dass die Furcht, wie es scheine, ihre Füße beflügele.(III,3 Zeile 5) Die Metapher „beflügele“ zeigt, dass Emilia sich sehr schnell in Sicherheit bringen möchte vor den vermeintlichen Räubern.
Durch die Pause zwischen seiner letzten Aussage und der nächsten Frage, wirkt die Situation so, als wolle er Emilia noch einen Moment betrachten. Bevor er sich mit Marinelli in den Dialog vertieft, wie sie weiter mit Emilia verfahren sollten.
Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass der Prinz sich ganz und gar auf Marinelli verlässt. Diese These wird gestützt durch die vielen Fragen, die der Prinz Marinelli stellt. Die Fragen sind Ausdruck seiner Unsicherheit, aber auch seiner Verzweiflung, die Angst, Emilia verlieren zu können. Als Marinelli den Prinzen daraufhin weißt, dass er das Vornehmste nicht vergesse solle und somit die Situation beeinflussen könne um Emilia zu besitzen, wirkt der Prinz durch die Wortwahl verzweifelt. „ Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht gedacht habe? – Das Vornehmste? was ist das?“ (III, 3 Zeile 19-20)
Die Pause, die der Prinz macht, veranschaulicht seinen Gedankengang. Es scheint, als bräuchte der Prinz einen Augenblick um auf die vorherige Frage von Marinelli Bezug zu nehmen. Doch statt auf die Fragen zu antworten, stellt der Prinz eine Gegenfrage: „Das Vornehmste? Was ist das?“
Auch auf diese Frage antwortet Marinelli wie auf die anderen Fragen zuvor. Durch das Frage-Antwort-Prinzip verdeutlich Lessing die Habgier des Prinzen, welcher immer nur fragt, wie er Emilia für sich haben kann. Somit sieht dieser Emilia nur als „Objekt“, welches er besitzen muss.
Dabei ignoriert der Prinz die Gefühle von Emilia, obwohl er weiß, dass sie ihn nicht liebt. Am Ende der Szene reflektiert der Prinz seine Begegnung mit Emilia in der Kirche. Auch sagt er, dass Emilia stumm, niedergeschlagen und zitternd vor ihm stände, wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil höre (III,3 Zeile 27-28). Allein durch die Worte „stumm“ und „zitternd“ wird deutlich, dass sich Emilia vor der Wolllust des Prinzen sowie vor seiner Aufdringlichkeit fürchtet. Dadurch, dass der Prinz wusste, dass er Emilia während des Morgengebetes in der Kirche antreffen würde, lässt sich ableiten, dass Emilia regelmäßig zur Kirche geht und somit eine Verbindung mit Gott eingeht. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Religion sowie Gesellschaft Emilia den Tugendbegriff vermitteln, der von ihr absolute Treue gegenüber den Grafen Appiani verlangt.
Emilia befreit sich nicht aus den gesellschaftlichen Zwängen, sondern bleibt stumm stehen. Außerdem traut sie sich nicht zu handeln auf Grund der gesellschaftlichen Stellung des Prinzen.
Desweiteren lässt sie sich von dem Versuch abbringen die Ihrigen zu suchen, als sie das Lustschloss des Prinzen in Dosalo nach dem Überfall erreicht.
Zu beginn der Szene III,3 wird die Erleichterung Emilias unbeschadet das Schloss erreicht zu haben durch die Interjektion deutlich z.B. „Ah!“ (III,4 Zeile 6).
Doch als sie bemerkt, dass sie alleine im Schloss ist ohne ihre Mutter und ihrem Gemahl, überhäuft sie den Bediensteten Battista, der sie zum Schloss begleitet hat, mit Fragen. Jedoch kann er ihr keine genauen Antworten geben, sondern antwortet ausweichend mit „Ich vermute“ (III,4 Zeile 10) oder er antwortet im Konjunktiv „Das wäre!“. (III,4 Zeile 13). Schließlich kann sie Battista überzeugen, dass jemand durch die Schüsse verletzt worden sein könnte und er bietet sich an, nach ihrer Familie zu sehen. Durch die Ellipse „Nicht ohne mich.“ (III,4 Zeile 18) wird greifbar, dass die Familie für Emilia sehr wichtig ist. Doch verwunderlich ist die Klimax „ich will mit; ich muss mit“ (III,4 Zeile 13), erst klingt es, als ob sie freiwillig mit will, doch durch das „muss“ wirkt es wie eine Pflicht gegenüber ihrer Familie.
Kurz bevor sich die beiden auf die Suche begeben können, tritt Marinelli plötzlich hinzu, dies wird durch die Regieanweisung „ der plötzlich herzutritt, als ob er eben hereinkäme“ (III,4 19) deutlich. Dies zeigt, dass der das Verschwinden von Emilia verhindern möchte. Emilia ist verwundert den Kammerherrn anzutreffen, dies wird erkenntlich durch die Regieanweisung „stutzend“ (III,4 Zeile 23) . Jedoch erzählt Emilia Marinelli ihre Geschichte, dass sie von Räubern überfallen worden sei und Battista sie gerettet hätte. In Folge dessen erwähnt sie auch, dass sie Schüsse gehört hätte und ihre Mutter vielleicht tot sei.
Jedoch erst durch ihren letzten Satz „ Ich muss fort; ich muss wieder hin, – wo ich gleich hätte bleiben sollen.“ wird die Unterwürfigkeit zu ihren Eltern deutlich. Dieses Verhalten kritisiert Lessing unter anderem, da Emilia kein Individuum ist, welches seinen eigenen Verstand gebraucht, sondern nach dem Willen der Eltern handelt. Jedoch entwickelt sich die Figur Emilia im Laufe des Dramas, doch dies kommt in den zu analysierenden Szenen nicht zum tragen.
Um Emilia weiterhin im Schloss halten zu können, wird Battista zu den Wirtshäusern geschickt um dort nach ihrer Mutter und ihrem Gemahl zu suchen. Zugleich versucht er Emilia einzureden, dass es zwecklos wäre die Ihrigen zu suchen, wenn sie so kraftlos sei.
Dies gibt ihm auch die Möglichkeit elegant die Überleitung zum Prinzen zu finden.
Emilia reagiert äußerst bestürzt bei der Erwähnung des Prinzens und fragt nach: „Wer, sagen Sie?“ (III,4 Zeile 9) Als Marinelli daraufhin antwortet, es sei unser gnädigster Prinz, fragt sie erneut „Der Prinz?“ (III,4 Zeile 11) . Sie wiederholt somit die vorherigen Worte Marinellis noch einmal um sich selbst deutlich zu machen, dass das Schlimmste, was ihr je passieren konnte, wirklich wahr geworden ist. Sie ist in diesem Moment in der Gewalt des Prinzen.
Nun erfährt sie auch, dass sie sich im Lustschloss des Prinzen aufhält.
In der nächsten Szene stehen somit Emilia und der Prinz in einem Dialog zu einander, wobei Marinelli vernachlässigt wird.
Durch die Fragen „Wo ist sie? Wo?“ von dem Prinzen, hat man Anfang der Szene den Eindruck, als ob dieser Emilia gesucht hätte, jedoch wissen wir aus der Szene III,3 , dass der Prinz im Nebenzimmer auf den richtigen Augenblick gewartet hat, um Emilia zu begegnen.
Doch lässt Emilia den Prinzen nicht einmal ausreden, da sie ihm ins Wort fällt. (III,5 Zeile 25-26) Sie unterbricht den Prinzen mit der Frage, wo die Ihrigen seien. Somit ist verständlich, dass Emilia sich Sorgen um ihre Familie macht und ihr sehr viel daran liegt, sie wieder zu finden.
Im weitern Verlauf des Dialoges fühlt sich die Person Emilia hin und her gerissen. Sie weiß nicht, ob sie sich den Schmeicheleien des Prinzen hingeben soll, oder ob sie ihre Mutter suchen soll. Doch schließlich erliegt sie dem Prinzen und lässt sich vom ihm in ein Zimmer führen.
Doch die ganzen Szenen scheinen einem merkwürdiger Zufall zu unterliegen, da der Prinz bereits wusste, dass Emilia ihre Familie sucht, bevor sie ihm die Geschichte mit dem Überfall erzählt. Auch erwähnt der Prinz am Anfang der Szene III,3 als er Emilia sieht, welche sich auf dem Weg zum Schloss befindet. „Sie glaubt sich nur vor den Räubern zu retten.“ Obwohl er es theoretisch nicht wissen konnte. Daraus wird deutlich, dass der Prinz und Marinelli den Überfall auf Emilia geplant haben, um den Willen des Prinzen zu befriedigen.
Damit Emilia keinen Verdacht schöpft, versucht der Prinz ihr zu schmeicheln und nennt sie „schönstes Fräulein“. Desweiteren versucht er dadurch ihr Vertrauen wieder zu gewinnen.
Zuerst beschuldigt Emilia den Prinzen ihr etwas vorzuenthalten, doch dieser wehrt die Beschuldigung ab und kann sie überzeugen, ihm, wie oben erwähnt, in ein anderes Zimmer zu folgen.
Dadurch wird deutlich, dass Lessing die Zustände dieser Zeit stark kritisiert. Der Prinz veranlasste, dass die Kutsche von Räubern überfallen wird. Dadurch gelangt er in den Besitz Emilias. Dieses Handeln zeigt, dass er sich der Menschlichkeit widersetzt. Er behandelt Emilia nicht wie einen Menschen, sondern wie eine Ware. Er achtet weder auf ihre Gefühle, die deutlich zeigen, dass sie dem Prinzen gegenüber abgeneigt ist und Angst vor ihm hat, noch erfüllt er ihr den Wunsch ihre Eltern zu suchen. Sein Ziel ist es, Emilia für sich allein zu besitzen. Lessing versucht seinen Zuschauern hier deutlich zu machen, dass der Prinz nicht das Recht haben darf über das Glück anderer Menschen zu entscheiden, dazu zählt auch die Liebe. Man könnte sagen, dass er dazu aufruft: „Rettet die Menschlichkeit“. Aber zugleich kritisiert er auch die Unmündigkeit des Prinzen, dass dieser sich nur auf Marinelli verlässt und sich nicht seines eigenen Verstandes gebraucht.
Ich würde nicht sagen, dass der Prinz ein Opfer der Gesellschaft ist, sondern seiner eigenen Unmündigkeit. Auch wenn von ihm eine politische Heirat erwartet wird und er lieber die Frau heiraten möchte, die er liebt, so kann er doch nicht von Emilia erwarten, dass sie sich einer unglücklichen Ehe hingibt. Wenn man jemanden wirklich liebt, will man dessen Wohl und nicht sein Verderben.
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Somit handelt der Prinz meiner Meinung nach aus blankem Egoismus und nicht aus Liebe.
Doch im Widerspruch zu meiner These steht das unsichere Verhalten des Prinzen gegenüber Emilia bei ihrer Ankunft, als er es nicht wagt, sie zu empfangen. Er meint nur zu Marinelli: „ Ich will hier in der Nähe hören, wie es abläuft, und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.“
Es scheint ihm wichtig zu sein, was Emilia von ihm denkt, jedoch sind ihm ihre Gefühle egal.
Durch die Widersprüchlichkeit wirkt das Drama erst interessant und macht den einen oder anderen Gedanken darüber lohnenswert.
Dadurch wird deutlich, dass es sich nicht nur um ein trauriges Schauspiel handelt, sondern dass es sich um ein Drama handelt, dass die Menschen anregen soll zu denken; „ sapere aude!“ und dass jeder sein Leben selbst bestimmen soll, soweit es möglich ist, denn das Leben ist zu kurz um es zu verschwenden. „Vita brevis!“