Expressionismus 1905-1925 (1910-1920)

(lat.) expressio = Ausdruck –> “Kunst des gesteigerten Ausdrucks”

–> “Literatur der Disharmonien”

1.Begriff:



  • (lat.) expressio = Ausdruck
  • „Kunst des gesteigerten Ausdrucks“
  • Begriff tauchte erstmals 1911 auf
  • Herwarth Walden – 22. Ausstellung der „Berliner Sezession“ – Bilder junger franz. Maler

2.Geschichtlicher Hintergrund:



  • entstand am Vorabend des II WK’s
  • ausgelöst durch Erlebnis der inneren Krise vor I WK (Auflösung der alten Gesellschaft – innere Leere)
  • technischer Fortschritt, industrieller Aufschwung
  • Vertreter des Expressionismus waren mit ihrer Zeit unzufrieden: Menschheit war abhängig von Wissenschaft, Industrie, Technik,…
  • Expressionisten hatten meist eine naive, wirklichkeitsfremde Einstellung zur Politik
  • Hitlers „Mein Kampf“ (1925):
    Künstler des Dadaismus, Kubismus und Expressionismus = „geistige Degeneranten“
    Werke = „Wucherungen“, „Halluzinationen von Geisteskranken oder Verbrechern“
  • fast die Hälfte der expressionistischen Autoren war jüdischer Herkunft
  • 10. März 1933 deutsche Professoren und Studenten verbrannten literarische Werke, bevorzugt expressionistische
  • viele Schriftsteller und Dichter verschwanden nach 1933 in Todeslagern, begingen Selbstmord oder gingen zwischen 1933 und 1945 ins Exil
  • 1937 Ausstellung „Entartete Kunst“(unter anderem expressionistische Werke) – „Machwerke von Geisteskranken“ – den Künstlern wird Existenzrecht in Deutschland abgesprochen


3.Ziele:


  • wandte gegen Naturalismus und Impressionismus
  • abgelehnt werden: Kriegshetzerei, Militarismus, Fortschrittsglauben, Technikverherrlichung, Materialismus, zunehmende Verstädterung, beschleunigtes Lebenstempo
  • wollten die unmoralische Welt verbessern
  • wollten die Menschen emotional ansprechen und innerlich erschüttern (= sie wachrütteln)
  • Forderung nach Veränderung, besonders nach Menschlichkeit, Güte, Gerechtigkeit, Kameradschaft, Menschenliebe, etc.

4.Themenschwerpunkte / Motive:



  • Stadt als Ort der Bedrohung, Angst, Hektik, Enge, Anonymität, Rausch, Krankheit, das Schreckliche, Tod und Verfall, Krieg und Revolution, Wahnsinn und Selbstmord, Todesmotiv und Untergangsstimmung, Ich-Verlust, Vater-Sohn Konflikt, (und auf der anderen Seite)
  • Liebe, Gott und die Natur, Pazifismus und Humanität, Vision einer besseren Welt, Sehnsucht nach dem neuen idealen Menschen


5.Literatur



  • wird bezeichnet als: Literatur der Disharmonien, des Hässlichen, des Grotesken und Pathologischen, einer Krisenhaft zerrissenen Welt, einen dissoziierten ich oder einer brüchig gewordenen Sprachordnung
  • Literatur schwankt zwischen, verschiedenen Stilen, zwischen Primitivismus, und artistischer Strenge, zwischen knappen und überschwänglich formulierten Darstellungen

5.1.Merkmale / Stil / Stilmittel:

  • Sprache: Subjektiv, Übersteigert, Überhöht, Verzerrt
    Versuchte die traditionelle Bildungssprache zu zerstören
    Rhythmen flossen, hämmerten oder stauten sich
    Man ließ Füllwörter, Artikel und Präpositionen weg, bildete neue Wörter, und betonte sie anders
  • Kontraste: z.B. unangenehme Themen in schöner Form und umgekehrt, oder
    unpassende Farbadjektive
  • Die Dichter sollen nicht exakt die Wirklichkeit oder nur Eindrücke von der Welt wiedergeben, sondern sie kreieren aus ihrer inneren Vision heraus eine Welt, die drücken ihre eigenen Empfindungen aus. Das Wort drückt die Seele der Dichter aus, und die Dichter sind Seher, Visionäre.
  • traumhaft, seherisch, schwärmerisch, viel Intensität
  • Telegrammstil/Sprachverknappung
  • Verkürzung von Sätzen (weglassen von Artikeln und Vorwörtern)
  • Verbalstil (“Entsubstantivierung der Welt”, Schaffung neuer Verben: tieren, blumen, …)
  • Metaphorik
  • Allegorie
  • Personifizierung / Depersonalisierung
  • Synästhesie (Erregung eines Sinnesorgans durch einen nichtspezifischen Reiz)
  • Symbole und Farbchiffren
  • Wortballungen, Worthäufungen

5.2.Lyrik:


  • dominierende Gattung
  • Vermischung traditioneller Formen mit modernen
  • große Metaphorik, Bildlichkeit, Farbsymbolik
  • Reihungsstil (Aneinanderreihung kurzer Hauptsätze)
  • Dynamisierung der Sprache durch eine Vielzahl an Verben der Bewegung

  • Variation der gebräuchlichen Syntax und Grammatik
  • Ironie
  • Traditionelle Versform (Sonett)
  • Auflösung von Bewusstseinszusammenhängen
  • Enjambement (Satz setzt sich in nächster Zeile fort)


5.3.Epik:

  • eher unwichtig
  • kurz, wuchtig, prägnant
  • häufigste Stilmittel: Parataxe, Ellipse, Syntaktische Sprachverzerrung


5.4.Dramatik:
  • neben der Lyrik eine bedeutende Rolle
  • Geburt des neuen gewandelten Menschen wird dargestellt
  • Umsetzung durch Musik, Tanz, Pantomime, Bühnenbild und Lichteffekte
  • Keine pers. Charaktere, sondern typisierte
  • Charaktere oft übersteigert bis grotesk verzerrt
  • Protagonisten (Wortführer) ohne Namen, meist mit Maske um das allgm. Vorzutragen


6.Vertreter und Werke


  • Georg Heym („Die Stadt“ „Der Krieg“)
  • Ernst Stadler („Der Spruch“ „Form ist Wollust“)
  • Oskar Loerke („Blauer Abend in Berlin“)
  • Else Lasker-Schüler („Weltschmerz“ „Weltflucht“ „Weltende“)
  • Georg Trakl („Grodek“)
  • Jakob von Hoddis („Weltende“)
  • Alfred Wolfenstein („Städter“)
Alfred Wolfenstein – Städter 1 Dicht wie die Löcher eines Siebes stehn
2 Fenster beieinander, drängend fassen
3 Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
4 Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.

5 Ineinander dicht hineingehakt
6 Sitzen in den Trams1 die zwei Fassaden
7 Leute, ihre nahen Blicke baden
8 Ineinander, ohne Scheu befragt.

9 Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
10 Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
11 Unser Flüstern, Denken wird Gegröhle

12 – Und wie still in dick verschlossner Höhle
13 Ganz unangerührt und ungeschaut
14 Steht ein jeder fern und fühlt: alleine

Anmerkungen:
1 Altmodisches Wort für Straßenbahn.

Alfred Wolfenstein (* 28. Dezember 1883 in Halle (Saale); 22. Januar 1945 in Paris) war ein expressionistischer Lyriker, Dramatiker und Übersetzer.
Alfred Wolfenstein zog mit seiner Familie 1901 nach Berlin, wo er auch studierte. 1915 wurde er Gerichtsreferendar, 1912 erschien sein erstes Gedicht.
Alfred Wolfenstein heiratete 1916 Henriette Hardenberg, gestand jedoch später ein, homosexuell zu sein.
Er gab mit dem zweibändigen Werk „Die Erhebung“ (1919/1920) die wichtigste theoretische Sammlung der expressionistischen Bewegung heraus.
1930 erhielt er für seine für seine Rimbaud Übersetzungen den ersten deutschen Übersetzerpreis.
Im Jahr der großen Bücherverbrennung (1933) kehrte Wolfenstein der ehemaligen Weimarer Republik den Rücken zu und zog nach Prag.
Ab 1938 verbarg er sich in Paris vor den Nazis, als diese Frankreich erobert hatten. Beim Einmarsch deutscher Truppen in Loire wird er gefasst und in das Gefängnis La Santé gebracht. Nach dreimonatiger Haft lebt Wolfenstein unter dem Decknamen Albert Worlin in Südfrankreich.
Am 22. Januar 1945 beging er Selbstmord in Paris. Sein wohl bekanntestes Gedicht STÄDTER erschien im Jahre 1914.

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Wissen verdoppelt sich, wenn man es teilt.
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