Jochen Ziem
Boris, Kreuzberg, 12 Jahre
BORIS, KREUZBERG, 12 JAHRE
Ort: Berlin Kreuzberg
Figuren: Boris, Mutter, Onkel Willi, Otto, Lehrer
Situation: Boris ist ein zwölfjähriger Junge. Sein Vater ist tot, jetzt wohnt der neue Freund der Mutter „Onkel Willi“ bei ihnen. Die beiden trinken und rauchen. Seine Schwester ist abgehauen. Boris muss sich um sich selbst kümmern. Er geht nicht mehr in die Schule. Sein einziger Freund ist Otto, der sich ein bisschen um Boris kümmert.
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Boris:
stinkt
geht nicht in die Schule
hat nur einen Freund
hasst Mädchen
sucht im Schrott nach brauchbaren Teilen für sein Fahrrad
Boris‘ Mutter:
raucht und trinkt
hat keinen Job
kann nicht lesen und schreiben
vergisst Boris‘ Geburtstag
Otto:
mag Milch
mag Tierfilme
Boris‘ bester Freund
hat eine Kohlehandlung
Onkel Willi:
trinkt
hat einen Hund
mag Boris nicht
Werner Hentschke:
groß
breit
blond
nicht alt, nicht jung
Lehrer
die Winter:
Lehrerin
eiskalt und herzlos
Hasso:
ein Schläger
ärgert alle in der Klasse
Krimineller
Sabine:
ist der Boss in der Klasse,
ist fett
Boris mag sie
16.Mai
Liebes Tagebuch heute ist mein 12. Geburtstag und keiner denkt daran. Früher als Papa noch lebte, hatte er immer ein Geschenk. Jetzt ist er tot. Mamas Freund Willi denkt nur an seinen Köter und an Bier. Keiner denkt an mich. Später habe ich mich mit Hasso und Bertram getroffen. Vor der Post haben wir einer Ollen ihre Handtasche geklaut. Wer tausend Mark auf einmal holen kann, der hat sowie so genug. Das doofe ist, dass das Geld gar nicht in der Tasche war. Und jetzt will der Blödmann Bertram tausend Mark von mir. Der spinnt wohl das mach ich nie wieder! Als ich nach Hause kam ist auch noch Veronika abgehauen aber ihr Zimmer bekomme ich trotzdem nicht. Warum kann Papa nicht mehr Leben?
17.Mai
erst hab ich überlegt ob ich in die Schule gehen soll. Aber egal. Erst mal musste mein Fahrrad fertig bauen. Ne Kette hab ich gefunden, ein Katzenauge und ein Schutzblech. Bei Harald habe ich das zusammengebaut. Der ist cool und hat mir geholfen. Fast hätte ich auch einen Sattel gehabt, aber da kam der Mann dem das Rad gehört. Mein neuer Klassenlehrer! Der interessiert sich dafür warum ich nicht zur Schule komme. Na und! Ist doch meine Sache! Und dann droht der mit den Bullen!! Nee, Schule is nich.
18. Mai
Dachte schon, die Bullen holen mich ab, war aber nur ein fetter Mann, den sie mitgenommen haben.
25. Mai
Nun reichts. Der droht mit Polizei und dann kommen die nicht. Ich geh jetzt in die Schule und mach den fertig.
Ich kam grade zur Hofpause. Hentschke hat gesagt, dass ich schon freiwillig kommen muss, sonst bleibe ich ja nicht. Stimmt sogar. also blieb ich. Dann hat der den Hasso vor die Tür gesetzt, mit Stuhl! das gabs noch nie! Sonst hat der die Lehrer fertiggemacht. Wieso ist der so anders? Ich hasse Schule!
29. Mai
Ich brauche Geld. Heute hatte ich endlich Glück und habe Geländerpfosten gefunden. War ganz schön gefährlich in dem Abrisshaus. Aber der Trödler wollte nicht viel bezahlen. Am Ende habe ich mit ihm getauscht und bloß einen Lenker und eine Lampe mit Dynamo, Rücklicht und Klingel gekriegt. Zuhause gabs mal wieder nichts zu essen. Als ich Chips vom Tisch nehmen wollte hat Onkel Willi meine Hand gequetscht. Der doofe Kerl.
30. Mai
Bei Veronika hatte ich ein richtig geiles Frühstück. 6 Brötchen! Dann die erste Testfahrt mit meinem Fahrrad. Toll. Aber als Hentschke dann kam, hatte ich ein Problem. Irgendwie hatte ich ein halbes Versprechen gegeben: Wenn das Rad fertig ist komme ich in die Schule. Und dann redete der von Klassenfahrt. Bauernhöfe. Otto hat mal davon erzählt, das würde ich gern sehen.
Am Abend habe ich noch einen Sattel für mein Rad „gefunden“. Jetzt steht es hier in meiner Kammer.
31. Mai
Ja ich war in der Schule. In der Sportstunde sollt Hasso Hilfestellung geben, aber ich dachte er lässt mich fallen. Hentschke hat das gemerkt und ihn abgelöst. Aber dann hat der mir geholfen! Nee das will ich nich. Ist doch ungerecht! Spinnt der?
Aber was soll ich machen, mein Rad ist fertig, da kann ich genauso gut in die Schule gehen. Warum kann Hentschke nicht wie ein normaler Lehrer sein? Meckern, rumbrüllen, Schüler fertigmachen?
Dann haben wir Karten gezeichnet. Vom Klassenraum, vom Schulgelände. Hätte ich gern an die Tafel gezeichnet, aber ich war schon so lange nicht mehr an der Tafel gewesen, hab mich einfach nicht getraut. Aber wenn wir den Kiez zeichnen sollen, dann bin ich der Erste!
Otto hat mir gleich einen Stadtplan gekauft, den haben wir dann an die Mauer gemalt, so ganz richtig !
6. Juni
Spinnt der Hentschke? ich kann den Plan vom Kiez und darf ihn nicht anmalen! Was soll der Scheiß? Als ich mir grade überlegte, ob ich meine Mauer den anderen zeigen soll, hat es angefangen zu regnen. ALES WEG! Ich hasse Hentschke!!!
8. Juni
70 Mark! Wie soll ich die denn kriegen? Mutter geht nicht zum Sozialamt. Für mein Rad krieg ich höchstens 20 Mark. Alles Mist. Ich habe sogar überlegt eine Alte auszurauben, wieder tausend mark auf der Post geholt. Aber das ist auch Mist. Und dann finde ich auch noch einen Brief vom Gericht. Wir müssen aus der Wohnung weil keiner die Miete bezahlt hat, die hat der Willi bestimmt versoffen. Aber Mutter ist dann doch zum Sozialamt. In 4 Wochen Kriegen wir das Geld. Warum lernt Mutter denn nicht lesen?
12. Juni
Heute waren wir im Tiergarten, gab nur keine Tiere. schade eigentlich. Keiner konnte die Karte ausrichten, aber ich hatte Papas Kompass mit. Ich vermisse ihn.
Hasso ist ein blöder Arsch. Als Karlheinz im Ruderboot abtrieb, wollte Hentschke ihn retten und Hasse hat versucht das Bott zu kippen. Dabei ist der Trottel selber reingefallen.
Am tollsten war aber, dass das Geld für die Reise da ist. ICH KANN MITFAHREN!
Als ich am Abend wieder kam, war Willi abgehauen. Mutter hat geschlafen und der hat das Geld für den ganzen Monat geklaut! Nur das Reisegeld war noch da und das habe ich genommen. Mutter denkt das ist auch weg. Ich fühle mich so schlecht!
17. Juni
Fünf Tage war ich nicht in der Schule, aber heute kam Hentschke. Der hat echt versucht mit meinem Katschi zu schießen. Kann er aber nicht. Und gelobt hat er mich, weil ich so gut bin.
Dann hat er erzählt, dass er Schule auch Scheiße findet. Komischer Lehrer.
Am Abend sind wir ins Asyl gebracht worden. Ein Zuhause habe ich jetzt also auch nicht mehr.
20. Juni
Ich hau ab. Das hab ich Mutter gesagt. aber wohin? Bei Harald in der Werkstatt kann ich ein paar Tage pennen. Und dann ist Klassenfahrt. 2 Wochen Geborgenheit.
23. Juni
Mann ist das toll hier. Wir sind alle Jungs aus unserer Klasse in einem Zimmer. Aber meine dreckigen Klamotten waren mir peinlich. Hentschke hat mir mit der Waschmaschine geholfen. Fand ich schon gut, aber das muss ich dem ja nich sagen. Fast könnte er wie mein Vater sein.
Das Wasser von dem Bach hier ist der Hammer. Man kann alles sehen. und es ist so klar, und kühl, wie aus dem Wasserhahn. Und was es hier für Tiere gibt, Wahnsinn. Da habe ich sogar das Essen vergessen. Was solls, Hunger kenn ich ja.
Am Abend mussste ich duschen. War gar nicht so schlecht.
Ist das schön hier!
30. Juni
Das nennen die Bauernhof? Ich glaube das ist ein Tierknast. Im Wald haben wir viel besseres gesehen!
Als ich eine Ratte abgeknallt habe, fing die Winter an von wegen Waffe. He Alte, ein Katschi ist doch keine Waffe! Aber petzen wollte sie. Da habe ich ihr Wasserglas zerballert. War die sauer! Sogar Hentschke wollte mich nach Hause schicken. Als ob ich eins hätte!
Aber stell dir vor: die ganze Klasse wollte auch nicht bleiben, wenn ich wegmuss! Und ich durfte bleiben. Aber von der Ollen begnadigt? is auch scheiße.
2.Juli
Sterne gucken mit Karlheinz. Der Spinner hat da echt was drauf, was ne Galaxie ist und so. Sterne in Berlin kannste vergessen, aber hier!
Die Adelheid ist Hentschkes Bett gekrochen. Keine Ahnung was das soll, aber er hat se weggeschickt, keine Ahnung warum er heute nichts gesagt hat, ich dachte das gibt Ärger.
6. Juli
Warum kann ich denn nicht hierbleiben? Wir müssen morgen wieder nach Hause und ich hab gar keins. Haha.
7. Juli
Da kommst du von ner Reise wieder und deine Mutter ist im Krankenhaus. Jetzt soll ich ins Heim. Da können die lange warten. Ich doch nich!
Im Keller von unserem alten Haus wohne ich jetzt. Schlafe in der alten Badewanne, mit der alten Matratze. Essen muss ich eben klauen. und vor dem Winter muss mir was besseres einfallen.
10. Juli
Scheiße, ich verschlafe immer, weil es so dunkel ist in meinem Keller. Und einen Wecker hab ich auch nicht. Denkt Hentschke echt, dass ich gern so dreckig bin? Geht ihn doch nichts an!
12. Juli
Hat der Arsch mich doch echt verfolgt und ausspioniert! Begreift der nicht dass er mir nicht helfen kann? Ich will nicht ins Heim!
So, jetzt habe ich mich gewaschen. Sogar alte Klamotten von Harald hatte Veronika für mich. Morgen bin ich pünktlich in der Schule zu Hentschkes Examen.
13. Juli
Ich bin fast geplatzt, als Hasso von Adelheids Besuch in Hentschkes Bett geredet hat. Die Prüfer kriegten gleich große Ohren. Keine Ahnung was die wollten, auf jeden Fall habe ich denen gesagt, was wirklich war. Nämlich nichts! Und das der Hentschke der erste Lehrer ist, der für mich wichtig ist und für den ich nicht nur Scheiße bin. Und die anderen Kinder auch nicht. Hasso ist so ein Dreckstück, den will ich nicht mal prügeln!
Am Ende ist der Hentschke kein guter Lehrer für die Prüfer. Aber ich finde ihn so gut, dass ich ihn zum Trost zum Eis eingeladen habe.