Rezension: Fernando Savater – „Tu, was du willst“
„Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen.
Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.“ – Hannah Arendt
Am 23.05.1949 wurde das Grundgesetz beschlossen und stellt damit unter anderem die deutsche Verarbeitung der Menschenrechte dar. Das Grundgesetz verspricht uns dabei in verschiedensten Artikeln die Freiheit. Artikel 2 legt fest, dass jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat. Andere Artikel bestimmen die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Berufsfreiheit. Doch was bedeutet Freiheit eigentlich für uns? Und was noch viel wichtiger ist: wie können wir sie nutzen?
Darauf hat Fernando Savater einige Antworten, die er uns in seinem Buch „Tu, was du willst“ nahe legt. Das Buch ist an seinen Sohn Amador gerichtet, dem er auf lockere Art und Weise einige grundlegende Prinzipien der Ethik vermitteln will. Im Laufe von 9 Kapiteln, die ich hier im Einzelnen kurz anreißen werde, geht er dabei auf die Ethik, auf die Freiheit und auf ein schönes Leben ein.
Noch bevor er mit dem ersten Kapitel beginnt, stellt Savater klar, dass dieses Buch kein Lehrbuch ist und definitive Aussagen treffen soll – es soll viel mehr zu einer Diskussion anregen.
Im 1. Kapitel „Woher die Ethik kommt“ beginnt Savater dann zunächst, allgemein zu erklären, was es mit der Ethik und der Freiheit auf sich hat. Er sagt, dass die Ethik ein Fachgebiet ist, in dem man nicht, wie in verschiedenen Naturwissenschaft, eindeutige Antworten auf alle Fragen geben kann. Beispielsweise kann man nicht verallgemeinern, dass eine Lüge etwas Schlechtes ist. Dazu sagt er:
„Die Lüge ist im Allgemeinen etwas Schlechtes, weil sie das Vertrauen in das Wort zerstört […]; aber manchmal scheint das Lügen nützlich zu sein, um einen kleinen Vorteil zu erlangen. Oder sogar, um jemand einen Gefallen zu tun.“Solche Problemfälle erklärt er dadurch, dass wir nie nach den gleichen Kriterien bewerten können, wenn es sich um eine ethische oder philosophische Frage handelt.
Zur Freiheit sagt er, dass jeder Mensch einen freien Willen hat – auch wenn es in bestimmten Situationen nicht so erscheinen mag. Die Freiheit ist das Grundprinzip des menschlichen Denkens und wir können unsere Freiheit auch nicht ablegen. Sie ist also zugleich Segnung als auch Fluch. Doch dazu später mehr.
Kapitel 2 „Befehle, Gewohnheiten und Launen“ beschäftigt sich mit den Motiven, warum wir etwas tun. Außerdem führt er den wichtigen Begriff der Situation ein. Wir geraten immer wieder in Situationen, die wir uns nicht aussuchen können. Doch innerhalb dieser Situationen haben wir einen gewissen Entscheidungsspielraum, in dem wir frei sind. Daraus entsteht die Schlussfolgerung, dass wir versuchen wollen, uns immer so zu entscheiden, dass unsere Freiheit in der nächsten Situation so groß wie möglich ist.
„Tu, was du willst“ ist der Titel des 3. Kapitels. Savater beginnt damit, zu erklären, dass die in Kapitel 2 angesprochenen Motivationen für eine Handlung nicht immer ausreichend sind. Wir können nicht immer nach einem Befehl, einer Gewohnheit oder einer Laune handeln. Manchmal müssen wir einfach über die Folgen nachdenken und aus Vernunft handeln. Das hängt damit zusammen, dass wir eine Verantwortung für unser freies Handeln haben. Wir müssen für unsere Entscheidungen Rechenschaft ablegen – also darüber nachdenken, warum wir es tun. Hier greift Savater auch erneut die Problematik auf, dass es in der Ethik nicht leicht ist, zwischen „gut“ und „schlecht“ zu unterscheiden. Er versucht allerdings eine allgemeine Richtlinie aufzustellen. Und zwar sagt er, dass eine Handlung schlecht ist, wenn sie einen anderen Menschen nur als Mittel zum Zweck gebraucht.
Er greift also (ohne dies zu benennen) auf Immanuel Kants „kategorischen Imperativ“ zurück:
„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Auf den ersten Blick mag diese Formel sehr verwirrend erscheinen. Sie besagt jedoch lediglich, dass man sich selbst und andere Personen nie als Mittel zu Zweck gebrauchen soll, solange sie nicht auch Zweck sind.
Im 4. Kapitel erklärt uns Savater, was ein schönes Leben ist, und wie wir uns mit unseren Entscheidungen zu einem solchen verhelfen können. Das Kapitel heißt deswegen auch „Mach dir ein schönes Leben“. Dieses Thema steht in enger Verbindung zum dritten Kapitel, da Savater meint, dass wir uns nur dann ein schönes Leben machen können, wenn wir zweimal über unsere Handlungen nachdenken:
„Manchmal wollen wir Menschen einander widersprechende Sachen, die miteinander in Konflikt geraten. Es ist wichtig, Prioritäten setzen und eine gewisse Hierarchie bilden zu können zwischen dem, was einem sofort gefällt, und dem, was man eigentlich langfristig will.“Außerdem definiert er ein „schönes Leben“ in seinem Sinn als ein schönes menschliches Leben. Ein Leben, in dem man andere als Mittel zum Zweck benutzt, um große Macht und großen Reichtum anzuhäufen, macht uns nicht glücklich. Ein schönes Leben hat man nur, wenn man mit anderen Menschen zusammenlebt. Ein soziales Umfeld ist das wichtigste für das „Menschwerden“. Hierzu verweise ich auf das Zitat im Untertitel der Rezension.
Kapitel 5 „Wach auf, Baby!“ führt das noch detaillierter aus. Hier erklärt Savater noch genauer, was ein schönes Leben ist, und was nicht.
Das 6. Kapitel „Die Grille taucht auf“ beschäftigt sich sehr ausführlich mit wichtigen Aspekten, wie Gewissen, Reue oder Verantwortlichkeit. Savater leitet das Kapitel mit dem Begriff der Imbezillität ein. Imbezillität bezeichnet die moralische Schwäche des Geistes. Imbezile sind Personen, die unfähig zur Selbstreflexion oder ähnlichem sind.
„Das Gegenteil von moralisch imbezil zu sein ist, ein Gewissen zu haben.“Savater definiert das Gewissen in vier Punkten, die im Allgemeinen mit dem übereinstimmen, was er uns in den vorangehenden Kapiteln erklärt hat.
Weiterhin geht er, wie bereits erwähnt, auf die Reue oder Gewissensbisse ein. Sie sind der Beweis der Freiheit: warum sollten wir Gewissensbisse haben, wenn wir etwas nicht aus freien Stücken gemacht haben?
Das letzte Thema in diesem Kapitel ist die Verantwortlichkeit – sie ist der „Fluch“ der Freiheit. Wir können unsere Freiheit nicht ablegen, und so sind wir für alle unsere Handlungen – und vor allem für deren Folgen – verantwortlich.
Im 7. Kapitel „Versetz dich in seine Lage“ geht es wieder einmal um das menschliche Leben. Es dreht sich darum, dass ein Zusammenleben auch möglich ist, wenn die moralischen Vorstellungen der Beteiligten nicht dieselben sind. Dazu sollte man seine Interessen relativieren können – und sich in die Lage seines Gegenübers versetzen können. Dabei werden auch Begriffe wie Gerechtigkeit aufgegriffen.
Das 8. Kapitel trägt den Titel „Mit Vergnügen“ und genau darum geht es auch. Savater erklärt hier, dass wir das tun sollen, was uns Vergnügen bereitet, damit wir ein gutes Leben führen können. Dabei sollen wir uns jedoch nicht vom Vergnügen blind machen lassen oder das Vergnügen missbrauchen. Auch das läuft wieder auf die These hinaus, dass wir über jede Handlung zweimal nachdenken sollen.
Nun kommen wir zu Kapitel 9 – dem meiner Meinung nach wichtigsten, auf das ich auch gleich noch näher eingehen möchte. „Allgemeine Wahlen“ heißt es und beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Politik und Ethik. Dabei greift Savater auf viele vorher angesprochene Themen zurück.
Zunächst behandelt er die allgemeine Beziehung zwischen Ethik und Politik und verdeutlicht somit, wie die Ethik im Alltagsleben untergebracht ist. Und zwar haben Ethik und Politik das gemeinsame Ziel eines guten Lebens. Aber es gibt gewisse Unterschiede. In Savaters Begriffen ist die Politik eine Situation, in der wir uns mit Hilfe der Ethik frei entfalten können. Denn während die Politik sich um das Wohl der Allgemeinheit sorgt, kümmert sich die Ethik doch um das Wohl des Einzelnen. Und damit gelangen wir beim Grundgesetz an. Die Politik verspricht uns an dieser Stelle viele Freiheiten, die unseren Entscheidungsspielraum in der „Situation Politik“ möglichst offen lassen sollen. Die Ethik beschäftigt sich nun damit, wie wir diese Freiheiten nutzen, ohne sie zu missbrauchen.
Dieses Zitat Savaters verdeutlicht auch die einseitige Abhängigkeit der Politik von der Ethik.
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass für die Politik nur die Handlung an sich und deren Folge zählen. Die Ethik dagegen hinterfragt die Beweggründe, aus denen die Handlung geschehen ist.
Als zweiten Punkt stellt Savater das bevorzugte politische System vor (aus Sicht der Ethik). Dieses sollte sich auf drei spezielle Gründsätze stützen. Zum ersten natürlich auf die Freiheit. Diktaturen sind also denkbar ungeeignet. Der Staat sollte die Bürger möglichst wenig beschränken und – was noch wichtiger ist – auch die Verantwortung zulassen, die dadurch entsteht. Das zweite Grundprinzip ist die Gerechtigkeit. Dieser Punkt bezieht ein, dass man Menschen wie Menschen behandelt, dass man sich in die Lage anderer versetzen kann und dass man seine Interessen relativieren soll. Außerdem soll man die Würde der anderen wahren. Die Gerechtigkeit ist das einzige Prinzip, für welches die Freiheit eingeschränkt werden darf. Das dritte und letzte Grundprinzip ist die Fürsorge. Sie soll jedoch kein autoritäres Mitgefühl darstellen, das den Betroffenen wie einen Invaliden behandelt, sondern soll eher Hilfe zur Selbsthilfe geben. Dabei darf die Fürsorge weder die Gerechtigkeit beeinträchtigen, noch die Freiheit desjenigen einschränken, dem die Fürsorge gilt.
Dieses politische System wird in der Tat angestrebt, denn die Menschenrechte kommen diesen Prinzipien sehr nahe. Doch die Menschenrechte sind nicht allen Verfassungen verankert und oft auch in abgewandelter Form.
Der dritte Punkt in diesem Kapitel ist die Behandlung von globalen ethisch-politischen Problemen. Savater spricht Hungersnöte, wirtschaftliche und bildungsmäßige Unterentwicklung, brutale politische System und besonders den Militarismus an, die nicht nur negative Auswirkungen auf das Bestreben nach einem guten Leben haben, sondern diesem sogar entgegen wirken. Das alles läuft auf die Unersetzbarkeit der Erde hinaus, die vielen scheinbar nicht bewusst ist. Dafür hat Savater nur eine Lösung: die Weltbürgerschaft. Nur wenn wir uns nicht mehr als Bürger verschiedener Staaten sehen, sondern als Bürger der Welt, dann werden auch die Kriege aufhören und das Bedürfnis die Missstände in unterentwickelten Ländern zu beseitigen wird stärker werden. Außerdem würden Doktrinen, wie Rassismus, bekämpft werden.
Wer noch näheres zu diesen Themen erfahren möchte, dem lege ich Savaters Buch ans Herz. Es ist leicht verständlich geschrieben, und auch wenn es an Savaters 15-jährigen Sohn gerichtet ist, werden auch Erwachsene noch etwas Interessantes finden.
Ich hoffe, diese ausführliche Rezension konnte Ihnen einen Einblick in Savaters Ansichten verschaffen, und hat womöglich auch ein gewisses Interesse in ihnen geweckt. Die meisten Thesen Savaters sind mit ausführlichen Beispielen erklärt und am Ende eines jeden Kapitels finden sich noch einige Zitate, die mit dem jeweiligen Kapitel im Zusammenhang stehen.
Dieses Buch ist jedem zu empfehlen, der sich ein wenig für die Ethik in ihren verschiedenen Facetten interessiert. Aufzwingen kann ich es jedoch niemandem.
Also: „Tu, was du willst“