?!Beste Freunde!?

Ein ohrenbetäubender Knall durchdrang die kalte Winterluft. Ein dumpfes Aufprallen. Dann Stille. Nur der Wind pfiff durch den dunklen Wald. Minutenlang rührte Karl sich nicht von der Stelle. Zu tief saß der Schock über das soeben Geschehene. Obwohl es ihm anfangs so leicht erschienen war. Alles war genauestens geplant gewesen. Niemand würde jemals die Wahrheit erfahren über das plötzliche Verschwinden des Lehrers, niemand! Kein Platz für Zweifel! Und nun saß Karl in der Dunkelheit und all die Sicherheit löste sich in seinem Inneren in Luft auf. Er richtete sich auf und sackte im selben Moment wieder zusammen. Was für ein Mensch war er nur! Wie hatte er das tun können! Den alten Herrn Rudolph hinterhältig aufzulauern und zu erschießen? Hatte er wirklich geglaubt, dass ihn das kalt lassen würde? Ein Mord!
Karl dachte an seine Freundin. Was würde sie von ihm denken? Und er dachte an Herrn Lohse, der ihm diesen Mord für eine satte Geldsumme von 400.000 Euro, aufgetragen hatte. Was hatte der Lehrer nur angestellt um erschossen zu werden? Und warum ausgerechnet sein Klassenlehrer?! Aber egal, ihm würde keiner so leicht was nachweisen können…das Geld würde reichen, um… alles zu tun! Endlich neue Klamotten kaufen! Einen Teil sparen für später sparen… neue, teure Geschenke für Vanessa kaufen! Und seine Schulden bei Heinrich – seinem besten Freund – könnte Karl auch endlich bezahlen! Wieso der alte Mann sterben musste – das wollte Karl gar nicht wissen.
Nun war er tot. Karls Lähmung fiel schlagartig von ihm ab, nun erfasste ihn Panik! Die Polizei würde es herausfinden! Sie würden ihn kriegen! Ins Gefängnis stecken – wenn nicht schlimmer! Unzählige Szenen aus Filmen besiedelten seine Gedanken: Festnahmen, Kreuzverhöre, Bilder aus Gefängnissen, Rache der Familie des Ermordeten, undurchsichtige, dunkle Kerle in der Nachbarzelle, weinende Augen der Angehörigen, Ausstoß aus der Gesellschaft,… er würde alles verlieren was er hatte! Hastig warf er die Pistole in den Rucksack. Das verhasste Ding. Er hatte sie erst gestern Abend von Herrn Lohse zugesteckt bekommen.
Karl sah sich nicht um. Wie von Sinnen rannte er von der Leiche weg, in die Richtung, in der er das Auto seines Vaters geparkt hatte. Der Wagen stand etwas weiter entfernt (er hatte sich nicht durch unnötige Geräusche bemerkbar machen wollen) hinter einem dichten Waldstück versteckt. Der Weg von dort war nicht weit, doch jetzt erschien er Karl wie eine Ewigkeit. Wo zum Teufel war nur der verdammte Wagen?
Suchend lief Karl weiter. Er war sich sicher gewesen dass der Wagen genau hier gestanden hatte! Drehte er jetzt völlig durch? Nein! Da sah er die Reifenspuren auf dem Waldboden! Oh mein Gott, dachte Karl! Wo ist der Wagen? Wie ein Irrer drehte er sich um die eigene Achse, wild mit den Armen fuchtelnd. Das konnte doch nicht sein? Plötzlich sah er Lichter aufleuchten. Zwei helle Scheinwerfer-Augen, die ihn direkt anstarrten. der Motor heulte auf und dann preschte das Auto los. Das Auto war auf dem besten Wege, Karl zu überfahren! Durch seinen Kopf schossen alle möglichen Gedanken – das kann nicht sein, das ist ein Traum? Wer soll denn das Auto fahren?? Doch der Wagen wurde immer schneller und schneller, nur noch weniger Meter! Karl realisierte: Man will mich umbringen!
Mit einem plötzlichen Anflug von Kraft warf er sich auf die Seite, doch es war zu spät, die Front des alten Ford traf ihn schmerzhaft in den Bauch. Sein Körper wurde zur Seite geschleudert, beim Aufprall brach er sich beide Beine und einige Rippen. Er blieb liegen und dachte – jetzt ist es aus. Ich bin tot.
Er hörte wie ein Stückchen entfernt der Motor abgestellt wurde. Zitternd vor Angst wagte Karl es nicht aufzusehen. Stattdessen drückte er sein Gesicht noch fester in den moosigen Waldboden. Schritte. „Karl?“ Das war doch… ganz klar!! „Karl??“ Ja, diese Stimme erkannte er unter Tausenden, das war Heinrich! Aber wieso? „Karl!!!“
Mühsam und unter Schmerzen hob er den Kopf. „Heinrich…“, stammelte er, „Heinrich, was ist los? Wieso hast du das getan?“ Er merkte wie ihm beim Sprechen Blut aus dem Mund rann. „Ich hoffe es ist alles gut gegangen und der alte Dreckskerl ist auch wirklich tot?“ Heinrichs Stimme klang monoton und ohne Bedauern. Er machte keine Anstalten seinem verletzten Freund zu helfen. „Was sagst du da? Woher weist du von Herrn Rudolph? ….Hat dir Der Lohse was gesagt?!“
„Dachtest du echt diesen Herrn Lohse gäbe es wirklich? Da verkleidet man sich, verstellt seine Stimme und du glaubst gleich irgendein „Gangster“ gibt die einen Mordauftrag auf?…Bist du wirklich so naiv oder tust du nur so!? Übrigends vielen Dank für deine Hilfe. Ich weiß das wirklich zu schätzen, du warst immer ein sehr guter Freund für mich…auch wenn du nicht wusstest dass ich hinter der Sache stecke hast du mir sehr geholfen. Außerdem will ich nicht sagen, der beste Freund, denn das warst du nie für mich! Ich wusste du würdest alles dafür tun um Vanessa noch mehr zu beeindrucken und um mir meine Schulden zurück zu zahlen…“deinem besten Freund“!“ Mit einem überheblichen Lächeln blickte er auf ihn hinab. Karl erkannte den Jungen nicht mehr, der so viele Jahre hinweg sein bester Freund gewesen war, dem er alles anvertraut hatte, mit dem er gelacht hatte, geweint, Späße gemacht. Jetzt spürte er nur noch eiskalten Schmerz. Nicht nur von den Wunden, die seinen Körper immer schwächer werden ließen, sondern es war der seelische Schmerz über diesen Betrug, der ihn frösteln lies. Sein bester Freund hatte ihn gerade angefahren.
„Ach Karl. Hast du denn nicht gemerkt wie sehr ich dich verabscheue, seit du mit Vanessa zusammengekommen bist? Sie ist das Mädchen in das ich mich zum ersten Mal verliebte, sie war, bist du in unsere Klasse kamst, meine Freundin. Sie ist die Frau mit der ich alt werden will.“ Karl erkannte ein angsteinflößendes, dunkles Funkeln in seinen Augen. Oh mein Gott – dachte er – der Kerl ist verrückt! Ein Psychopath! Wieso habe ich das nie bemerkt? „Jetzt ist der ideale Moment gekommen. Ich habe eine Geschichte, die ist so unglaublich gut. Jeder wird mir glauben! Na, wie klingt das: Karl, Schüler der 64. Mittelschule, ermordete seinen Klassenlehrer während dieser eines kleinen Spaziergang im Wald machte“ Karls Magen zog sich krampfartig zusammen. Inzwischen konnte er wegen den gebrochenen Rippen kaum noch atmen. „Heinrich… du bringst mich um! Hol einen Krankenwagen!“ Doch Heinrich fuhr fort.
„Ich werde allen erzählen, wie ich dich beobachtet habe wie du mit einer Pistole in der Hand in deinen Wagen gestiegen bist. Aus großer freundschaftlicher Sorge bin ich dir heimlich in den Wald gefolgt und wurde Zeuge dieses grausamen, brutalen Mordes. Oh der arme alte Herr Rudolph. Er ist unser Klassenlehrer gewesen! Du konntest ihn noch nie leiden, du hast mir von deinem Hass gegen ihn erzählt. Er hat sich sehr für dich eingesetzt als du Probleme in Geographie hattest…und trotzdem hast du ihn immer weiter gehasst. Den Hass gegen ihn konnte ich perfekt in den Plan einbauen. Außerdem hattest du Schulden bei mir und du wolltest vor Vanessa nicht so da stehen als ob du kein Geld gehabt hättest. Es ist alles so einfachgewesen!“ Karl schüttelte den Kopf. Das alles hätte er Heinrich niemals zugetraut. Wo war der Mensch, den er so gern hatte! Konnte man sich jahrelang so sehr täuschen?
„… und als ich dich zum Auto zurückkommen sah hat mich die Panik überwältigt, du könntest mich auch töten, und so bin ich aufs Gaspedal und … und…. Es war doch nur Notwehr…“ Heinrich grinste bösartig. Er beugte sich zu Karl herab. Er konnte seinen warmen Atem spüren. Starr vor Angst und wegen den Verletzungen unfähig sich zu bewegen, kniff er die Augen fest zusammen, als würde ihm die dadurch entstehende Finsternis ein letztes bisschen Schutz bieten. Heinrich flüsterte ihm mit rauer und so fremdklingender Stimme zu:“Und jetzt werd ich dich alleine lassen. So wie deine Verletzungen aussehen wirst du früher tot sein als ich wieder zu Hause sitze. Hhmm…und dann werde ich gleich die Polizei benachrichtigen. Und Vanessa besuchen gehen. Die Arme braucht jetzt den meisten Beistand. Ich glaube sie wird es sehr gut haben, bei mir! Nie wieder wird mir irgendjemand etwas wegnehmen, was mir gehört!!!“
Voll Wut über das Gesagte und bestärkt durch den Gedanken an seine Freundin durchfuhr Karl ein gewaltiger Adrenalinstoß, wie vorprogrammiert griff seine Hand blitzschnell in den Rucksack, er spürte das kalte Metall zwischen seinen Fingern. Alles geschah in Sekunden. Karl zog die Waffe, richtete sie auf Heinrichs Magengegend und drückte ab.
Getroffen fiel er rücklings zu Boden. Karl hörte ihn ein letztes Mal aufstöhnen, dann war es still im Wald. Nur der Wind wehte durch die Bäume.
Er kramte mit letzter Kraft und dem unbändigen Willen zu überleben in der Hosentasche nach seinem Handy. Er schaltete es ein… wertvolle Minuten vergingen, bis es endlich Netz gefunden hatte. Dann wählte er den Notruf. Nun konnte er die Geschichte gegen den toten Heinrich verwenden, die er gegen ihn verwenden wollte. Und Vanessa würde immer bei ihm bleiben. Irgendwann, wenn es soweit war das sie für immer bei ihm bleiben wollte, würde er ihr es sagen, und sie würde ihn verstehen.

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