Über die Schienenschleife der Straßenbahn-Endstelle fegte ein beißender, schneestaubgesättigter
Wind. Der viertelstündige Abstand, in dem die Bahnen fuhren, reichte gerade
noch aus, um die parallelen Linien der schneeverwehten Schienen immer wieder zu
markieren.
Es begann bereits zu dämmern. Man konnte noch gut sehen, doch die Schneekristalle
wirbelten schon in den Lichtfühlern der vorsichtig fahrenden Autos.
In der schlecht geheizten Straßenbahn saßen die Leute mit hochgeschlagenem Mantelkragen,
einem Arm durch die Henkel eines Netzes oder Einkaufsbeutels gefädelt. Die
Hände in die Taschen vergraben, und warteten auf die Abfahrt. In ein paar Tagen war
Weihnachten, und die meisten hatten noch etwas in der Stadt zu besorgen. Ungeduldig
trappelten sie sich die Füße warm und verfolgten mit ihren Blicken die wenigen Passanten
auf der Straße.
Plötzlich richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf einen Mann. Der kam den Radweg entlang,
aber mehr getorkelt als gegangen, in der Hand trug er eine abgewetzte und ausgebeulte
Aktentasche, den linken Arm hielt er waagerecht ausgestreckt, balancierte so den sehr
ungleichmäßigen Gang auf dem glatten Weg etwas aus und strebte der Bahn zu.
Da sich an der Endstelle eine Kneipe befand, dachten sich die Leute ihren Teil.
Ungefähr zehn Meter vor seinem Ziel rutschte der Mann aus. Im Fall bekam er mit der
freien Hand eine Laterne zu fassen. An der drehte er sich rücklings zu Boden. Dann saß
er im Schnee. Das Grinsen der Straßenbahninsassen platzte zu einem Lachen. Sie rückten
sich auf ihren Plätzen so zurecht, dass sie den Mann gut beobachten konnten und waren
neugierig, wie es nun weiterging.
Der Mann umarmte den Laternenpfahl und wand sich ebenso spiralförmig, nur viel langsamer,
wieder hoch. Als er endlich aufrecht und schwankend neben der Laterne stand,
merkte er, dass seine Tasche noch im Schnee lag und griff sich an den Kopf, was abermals
bei den Fahrgästen einen Heiterkeitsausbruch zur Folge hatte. Man wartete auf einmal
nicht mehr ungeduldig auf die Abfahrt der Straßenbahn, sondern amüsierte sich auf seinem
Sitz wie im Kino, genoss das Ganze wie einen Filmgag.
Indessen ließ sich der Mann wieder an dem Laternenpfahl herab. Wahrscheinlich hielt er
sich nicht richtig fest, er stauchte hart auf. Der Hut rutschte in die Stirn und nahm ihm die
Sicht. Vor Verwirrung tappte er mit den Händen wie ein Blinder nach der Tasche.
Das Lachen in der Straßenbahn brandete so laut auf, dass es durch die Ritzen der Türen
bis zu ihm gedrungen sein musste.
Da riss sich der im Schnee Sitzende den Hut vom Kopf, zeigte den wiehernden Zuschauern
wild gestikulierend den Vogel und zog mit einem Ruck beide Hosenbeine bis zu den
Knien hoch. Aus den Schuhschäften ragte das Metallgestänge und Lederzeug von Prothesen.
Das Gelächter gefror auf der Stelle. Doch ehe sich die Fahrgäste eines Besseren besannen
klingelte die Straßenbahn und fuhr ab.

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Ein beinah lustiges Geschichtchen
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