Interpretation
Franz Kafka – „Heimkehr“
Im Jahre 1920 wurde die Kurzgeschichte „Heimkehr“ von Franz Kafka veröffentlicht, welche ich im Folgenden interpretieren möchte.
Da die Geschichte nur einen kurzen entscheidenen Lebensausschnitt einer einzelnen Person zeigt, einen offen Schluss hat und sofort im Geschehen einsteigt, klassifiziere ich sie als Kurzgeschichte.
Es wird geschildert, wie ein Mann nach Hause zurückkehrt. Er blickt sich als erstes auf dem alten Hof um, der das Haus umgibt. Die ganze Zeit über fühlt er sich dort fehl am Platz. Auch als er vor der Küchtentür steht, zweifelt er noch, ob er wirklich seine Familie wiedersehen will, mit der er ganz offensichtlich ein distanziertes Verhältnis führt. Immer wieder werden die Zweifel und das Unbehagen des Zurückkehrenden ausgedrückt in rhetorischen Fragen, die er an sich selbst stellt, und an Beschreibungen, die seine Heimat sachlich und ausladend darstellen. Ob der Mann die Küche betritt, bleibt am Ende offen und somit muss der Leser sich über das Ende selbst Gedanken machen.
Bevor ich die Geschichte las, dachte ich an eine positive Heimkehr und ein fröhliches Wiedersehen, aber die Geschichte schildert einen Mann der nicht herzlich empfangen wird bei seiner Rückkehr und der sich anscheinend sehr überwinden muss, überhaupt in seine alte Heimat zurückzukehren.
Deutlich wird das Unbehagen, das der Mann fühlt, durch Adjektive, die die Umgebung beschreiben, z.B. „kalt steht Stück neben Stück“ (Z. 8-9) oder auch „ein zerrissenes Tuch“ (Z. 4).
Der Mann drückt in Zeile 7-8 selbst aus, dass er sich nicht recht wohl fühlt: „Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher.“
Parataktische Sätze, die der Erzähler in der Ich-Perspektive von sich gibt, verdeutlichen das sachliche Aufnehmen der Eindrücke des Mannes. Er stellt all das, was um ihn herum ist, eher fest, als dass er eine emotionale Bindung dazu empfindet oder Erinnerungen wach ruft.
Auf seinem Weg zum Wohnhaus wird ihm der Weg von verschiedenen Gegenständen versperrt, z.B. „Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg“ (Z. 2-3) und auch „Die Pfütze in der Mitte“ (Z. 2). Dies ist eventuell im übertragenen Sinne auf seine Familie bezogen, die sich im Wohnhaus befindet, sodass auch seine emotionale Bindung zu seiner Familie behindert wird, durch Dinge, die wahrscheinlich schon länger zurück liegen („altes, unbrauchbares Gerät“ Z. 2). Hier wird „die Pfütze“ als Symbol für Traurigkeit und Tristesse benutzt.
Mit rhetorischen Fragen wird weiter die Unsicherheit des Erzählers verstäkrt: „Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche?“ (Z. 5-6)
Der Vater wird in Kafkas Geschichte immer wieder erwähnt, auch gleich zu Anfang mit: „Es ist meines Vaters alter Hof.“ (Z. 1-2) Kennt man Kafkas biografischen Hintergrund, so weiß man, dass dies auf den Autor selbst hindeuten könnte, denn dessen Vater spielte eine wichtige Rolle in seinem Leben, allerdings eine negative. Weitere Zusammenhänge zu Kafka selbst werden in der emotionalen Distanzierung zu seiner Familie deutlich, denn auch der Autor hatte kein gutes Verhältnis zu seiner eigenen Familie. Er wurde – vor allem von seinem Vater – grob behandelt und unterdrückt.
„Und ich wage nicht, an der Küchtentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich […]“ (Z. 10-11) Diese Aussage zeigt deutlich, dass der Erzähler Angst hat vor der Begegnung mit seiner Familie, denn er bleibt in der Ferne stehen und lauscht nur dem Geschehen im Wohnhaus, welches er nur erahnen kann. Er traut sich nicht, direkt auf seine Familie zuzugehen um zu sehen, wie es ihr geht und was sie gerade macht: „Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren.“ (Z. 16-17)
Mit der näheren Beschreibung der „dort Sitzenden“, die ein Geheimnis haben, welches sie vor dem Mann „wahren“, wird auch deutlich, dass die Distanzierung nicht nur vom Mann ausgeht, sondern dem Anschein nach auch von dem anderen Teil der Familie, so zumindest gibt es der Erzähler wieder.
Die letzten Zeilen der Geschichte deuten darauf hin, dass der Mann es nicht wagen wird, die Tür zu öffnen um seiner Familie gegenüber zu treten: „Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.“ (Z. 17 ff.)
Es wird zwar offen gelassen, ob der Erzähler nicht doch noch die Tür aufmacht um sich seiner Familie zu zuwenden, allerdings vermute ich, dass er dies nicht tut, bezüglich seiner vorangegangenen Zweifel und seiner Überlegung, dass man fremder wird, „je länger man vor der Tür zögert“. (Z.17)
Ich persönlich finde die Geschichte sehr gelungen, da sie leicht verständlich ist und man sich gut in eine ähnliche Situation hineinversetzen kann, wenn man schon einmal länger in der Fremde war und dann nach Hause zurückkehrt.