Aufgabe:
1. Erschließe den vorliegenden Auszug aus Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ (Seite 134-139). Achte dabei auf Inhalt und Aufbau, die Erzähltechnik und die sprachliche Gestaltung sowie die Einordnung in den Zusammenhang des gesamten Romans!
2. Interpretiere Schlinks Darstellung von Schuld und Verantwortung unter Berücksichtigung zentraler Stationen des gesamten Romans!
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In Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ wird neben anderen Aspekten, wie Analphabetismus, auch die Frage nach Schuld und Verantwortung thematisiert. Eine Schlüsselszene dieser Thematik ist das Kapitel 12 aus dem 2. Teil des Buches (Seite 134 bis 139).
Dieses Kapitel beschreibt ein philosophisches Gespräch zwischen Michael Berg, dem Protagonisten, und dessen Vater. Gegenstand ihres Gesprächs ist ein Prozess, welchem Michael im Rahmen eines KZ-Seminars, dessen Ziel die Aufarbeitung der Kollektivschuld der NS-Zeit ist, zuschaut. Eine der Angeklagten ist Hanna Schmitz, mit welcher Michael in seiner Jugend eine Beziehung führte, dabei aber 18 Jahre jünger war als sie. Michael wusste allerdings bis zu diesem Zeitpunkt nichts über Hannas Vergangenheit. Genauso plötzlich wie sie damals verschwand, kehrt sie nun in Michaels Leben zurück. Nun plagen Michael Gewissensbisse und Gefühle der Verantwortung gegenüber Hanna, da Hanna im Begriff ist durch das Verschweigen eines Geheimnisses mehr Schuld auf sich zu nehmen, als sie tatsächlich trägt. Aus Angst als Analphabetin entlarvt zu werden, gesteht Hanna einen Bericht geschrieben zu haben, der insbesondere sie als schuldig erscheinen lässt. Da Michael jedoch weiß, dass sie ihn nicht geschrieben haben kann, fühlt er sich verpflichtet ihr zu helfen. Jedoch weiß er nicht genau, ob es richtig wäre, hinter Hannas Rücken ihr wohlbehütetes Geheimnis zu verraten. Deshalb sucht er ein Gespräch mit seinem Vater, einem Professor der Philosophie.
Im Kapitel 12 werden anfangs die Gründe genannt, warum Michael ausgerechnet seinen Vater befragt. Schließlich hatten Michael und sein Vater nie ein besonders gutes Verhältnis. Michael beschreibt es als ein kaltes Verhältnis voller Distanz (Seite 134 oben). Selbst wenn er mit seinem Vater sprechen wollte, musste er, wie ein Student, sich einen Termin mit ihm ausmachen(Seite 135 oben). Weiterhin werden verschiedene Arbeitszimmer von seinem Vater beschrieben und nochmals seine Distanz zu ihm und der Familie ausgedrückt. Doch gerade die Distanz zu ihm und sein philosophisches Wissen bringen ihn in die Lage, das „Problem abstrakt zu erörtern“ (Seite 134). Nachdem Michael ihm sein Problem nahegelegt hat, denkt sein Vater ein wenig nach, bis er schließlich weit ausholt und Michael über die Freiheit und Würde des Menschen belehrt. Man solle Menschen immer als solche behandeln und nicht zum Objekt machen(Seite 136 2. Absatz). Er belegt diese These damit, dass auch Michael als Kind es nicht als angemessen betrachtete, wenn seine Mutter etwas „besser wusste“ (Seite 136, 2. Absatz) als er. Auch als Michael erwidert, dass diese Person später aber eventuell damit selbst glücklicher wäre, beharrt der Vater auf seinem Standpunkt und meint, dass es nicht um Glück gehe, sondern um Freiheit und Würde. Als Michael dies als angenehm empfindet, spricht der Vater, dass es für dieses Problem keinesfalls eine angenehme Lösung gebe(Seite 137 letzter Absatz). Man müsse derjenigen Person die Augen öffnen, welche eventuell einen großen Fehler begeht. Michael fragt sich daraufhin, wie er Hanna überhaupt gegenüber treten könne, geschweige denn mit ihr reden könne(Seite 138, 2. Absatz). Als er dies daraufhin zum Ausdruck bringt, neigt sich der Dialog dem Ende, da auch der Vater hierauf nicht antworten kann. Es wird noch einmal die Distanz und das Missvertrauen, welches die Beziehung von Michael und seinem Vater belastet, deutlich, als der Vater zum Anschied meint, Michael könnte jederzeit wiederkommen, doch Michael ihm nicht glaubt.(Seite 139).
Die beiden handelnden Figuren sind also der Protagonist Michael und sein Vater. Michael macht in diesem Auszug des Roman „der Vorleser“ einen unsicheren Eindruck, welches an den Monologen und an Gesten wie Schulterzucken nachgewiesen werden kann (z.B. Seite 137, letzter Absatz). Er zweifelt ein wenig an dem, was sein Vater sagt und findet letztendlich für ihn keine passende Lösung. Der Vater bietet Michael eine sehr allgemeine Lösung an und versucht gar nicht weiter nachzuforschen, was Michael beschäftigt (siehe Seite 135 unten „Aber er schüttelte den Kopf um mir zu bedeuten, dass er keine Antwort erwarte…“). Er wird von Michael als gefühllos bezeichnet und beschäftigt sich eher mit der Philosophie als mit Michael und der restlichen Familie. Das er letztendlich bei diesem Gespräch als Vater versagt, beschämt ihn jedoch. (Seite 138 unten, Seite 139 oben „…schier beschämend…“). Im Vordergrund steht allerdings nicht eine Figur allein, sondern der Konflikt zwischen ihnen, die Distanz und das Misstrauen.
Das Verhältnis zwischen Michael und seinem Vater werden durch verschiedene Erzähltechniken zum Vorschein gebracht. Am Anfang des Kapitels steht ein Erzählerbericht, welcher den Leser auf den Dialog mit dem Vater vorbereitet (Seite 134-135 letzter Absatz). Der Dialog beginnt unerwartet mit einer direkten Rede: „Es hat mit dem Prozess zu tun, nicht wahr?“(Seite 135, letzter Absatz). Im Laufe des Dialoges wechseln sich Erzählerbericht, direkte Rede und häufig auch innere Monologe ab (z.B. Seite 137, 3. Absatz („Ich wusste nicht, was sagen. Erleichternd? Beruhigend? Angenehm? Das klang nicht nach Moral und Verantwortung. […]“). Einem ähnlichen Wechsel ist das Erzählverhalten unterworfen. Das gesamte Buch ist zwar aus der Ich-Form geschrieben, doch muss man zwischen erzählendem Ich und erlebenden Ich unterscheiden. Während das erlebende Ich den Großteil des Romans vermittelt, meldet sich an einigen Stellen ein „älterer Michael“ der über die Geschehnisse der Vergangenheit reflektiert und sie kommentiert. Dieser Erzähler besitzt also auktoriale Züge. Ein Beispiel ist auf Seite 137 im 1. Absatz zu finden („Heute denke ich gerne an das Gespräch mit meinem Vater zurück…“ ).
An diesen Stellen, sowie in den inneren Monologen, wird eine Zeitdehnung benutzt, Im Erzählerbericht wird die Zeit gerafft und in der direkten Rede decken sich erzählte Zeit und Erzählzeit.
Ebenso wechselhaft sind Sprache und Stil in diesem Kapitel und im ganzen Buch. Neben einfachen, kurz und teilweise abgehackt wirkenden Parataxen (z.B. der 1. und 2. Satz dieses Kapitels) stehen längere Satzgebilde und Hypotaxen(z.B. Seite 135 unten – Seite 136 oben „Aber er schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, dass er keine Antwort erwarte, nicht in mich dringen, von mir nichts wissen wolle, was ich nicht von mir aus sagte.“). Der Sprachstil scheint im allgemeinen gehoben zu sein, da Wortverbindungen verwendet werden, welche man im mündlichen Sprachgebrauch meiden würde.( z.B. Seite 135 unten „um mir zu bedeuten“). Dies hebt sich allerdings in den direkten Reden, zumindest von Michael, auf („Naja, ich wusste nicht, ob man in der Situation…“[Seite 137, 3. Absatz]). Es ist noch zu erwähnen, dass einige sprachliche Bilder benutzt werden, wie das Wort „Gehäuse“(Seite 135, 2.Absatz), welches für die Isolation des Vaters von der Familie und von seinen Gefühlen steht.
[Interpretation]
Diese Distanz zwischen Michael und seinem Vater kann gleichzeitig als Konflikt zwischen der sogenannten ersten – der Täter-Generation – und der zweiten Generation sehen, in Bezug auf den Generationenkonflikt und die Schuldfrage nach der NS-Zeit. Diese Schuldfrage, die Frage der Kollektivschuld, ist eine Darstellungsweise Schlinks der Schuld. Eine andere ist die spezielle Schuld der Person Michael.
Michaels Verantwortung bzw. Schuld in dem vorliegenden Textausschnitt aus „Der Vorleser“ ist es, mit Hanna zu reden und ihr die Augen zu öffnen, sodass nicht eine Lüge ihr Leben zerstört. Da er den einzig richtigen Weg, ein Gespräch mit Hanna, jedoch nicht sucht, sondern ihn aus Feigheit bzw. vielleicht sogar aus Rache dafür, dass Hanna ihn damals zurückließ, meidet, führt ihn in Schuld, nicht für Gerechtigkeit gesorgt zu haben.
Es gibt noch weiter Textstellen in dem Buch, welche die Schuldfrage Michaels behandeln. Die 1. Szene ist auf Seite 129 zu finden. Hier fühlt Michael sich schuldig, Hanna verleugnet und verraten zu haben, kurz nachdem Hanna ihn verlassen hat. Diese Schuld könne er auch nicht von sich weisen, weil das Verraten und Verleugnen von Hanna nicht der eigentliche Grund für ihr Verschwinden war. Schließlich flüchtete Hanna vor einer neuen Stelle und nicht vor ihm. Dennoch bleibe er schuldig dieses Verrats. Er bleibe sogar schuldig, wenn man behauptete, es sei kein Verbrechen einer Verbrecherin, wie Hanna, etwas anzutun, denn er liebte diese Verbrecherin. Die andere Szene befindet sich auf Seite 161-163. In diesem Abschnitt wird der Generationenkonflikt behandelt. Es erfüllte die Jugendlichen bzw. die Studenten mit Scham, was ihre Eltern in der NS-Zeit taten, bzw. unterließen. Diese Scham wurde von Vielen in „Energie, Aktivität und Aggression“ umgewandelt. Man zeigte mit den Fingern auf seine Eltern und überwand sein Leiden an der Scham, aber nicht die Scham selbst, mit einer auftrumpfenden Selbstgerechtigkeit. Die Verstrickung in die Schuld durch die Liebe zu den Eltern wurde durch die Absetzung von ihnen überspielt. Michael hingegen konnte seinen Eltern nichts vorwerfen, aber dennoch teilt er das Schicksal der anderen Studenten, da er eine andere Person verurteilen konnte: Hanna. Während man laut Michael für die Liebe zu den Eltern nur wenig kann, fühlte sich Michael um so mehr schuldig, da er Hanna nicht nur geliebt, sonder auch gewählt hat. Jede Verurteilung führe dazu, dass die Scham wieder auf ihn zurückfalle.
Michaels Schuld, den gesamten Roman betrachtend, lässt sich also in 2 Arten unterscheiden: 1. Schuld eine Verbrecherin geliebt zu haben und somit in die Schuld verstrickt zu sein und
2. Schuld sie verraten zu haben (sowohl vor seinen Freunden als auch im Anschluss an die oben analysierte Szene).
Meiner Meinung nach ist Michael von einem Teil der Schuld frei zu sprechen. Er konnte nicht wissen, dass er eine Verbrecherin liebte. Selbst als er darauf drängte, etwas über Hannas Vergangenheit zu erfahren, blockte sie ab und verweigert die Antwort. In diesem Fall ist es meiner Meinung nach nicht angebracht das Sprichwort „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe bzw. Schuld“ anzuwenden. Des weiteren muss die Frage gestellt werde inwiefern Liebe zu Verbrechern schuldig macht. Hierzu passt ein Sprichwort des römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel: „Wenn du heute aufstehst, denk daran, dass du im Laufe des Tages einem Lügner, einem Dieb, einem Ehebrecher, einem Mörder begegnen wirst. Und denk daran, dass du sie wie Menschen behandeln musst, denn sie sind so menschlich wie du und sind für dich so unentbehrlich wie der Ober- für den Unterkiefer.“(aus „Tu, was du willst“ von F. Savater). Alle Menschen haben ein Recht geliebt zu werden, daher ist es kein Verbrechen und kein Grund Scham zu empfinden, einen Verbrecher zu lieben.
Von dem 2. Punkt, dass Michael Hanna verleugnet und vor allem im Prozess im Stich gelassen hat, ist er nicht so einfach frei zu sprechen. Das Handeln von Michael, nicht mit Hanna zu reden, ist verantwortungslos. Er hat es aus Feigheit, vielleicht sogar aus Rache nicht getan und deshalb ist es umso verwerflicher. Weiterhin ist die oben analysierte Szene insofern richtungsweisend für den Verlauf des Buches, da durch ein anderes Urteil Hanna nicht so lange im Gefängnis hatte bleiben müssen und die Schuldgefühle von Michael auch möglicherweise nicht so stark gewesen wären, mit ihr den Kontakt zu halten und ihr Kassetten zu schicken. Vielleicht hätte sogar auch Hannas Selbstmord verhindert werden können. Die verantwortungslose Verfahrensweise Michaels hatte also schwere Konsequenzen.
Die Schuld Michaels ist, wie gesagt, nicht die einzige Darstellung Schlinks von Schuld in diesem Buch. Von viel größerer Bedeutung ist der Generationenkonflikt und die damit verbundene Kollektivschuld der Generation, welche zur NS-Zeit lebten. Wie oben erwähnt, könnte auch der Konflikt und die Distanz zwischen Michael und seinem Vater symbolisch für den Generationenkonflikt stehen.
Zu dieser Problematik ein Urteil zu fällen ist jedoch sehr schwer. Es ist schon richtig, dass fast jeder Deutsche, der während der NS-Zeit lebte, nichts gegen das Regime unternahm bzw. mitwirkte und somit einen Teil der Schuld trägt. Doch es kann auch nicht richtig sein, sie für alles verantwortbar zu machen, wie es die Studentenbewegung teilweise tat. Niemand weiß genau wie wir unter einem solchen Regime handeln würden und ob wir den Mut aufbrächten, uns zu erheben. Wirklich verurteilen kann man meiner Meinung nach nur solche, welche Führungsrollen im Nationalsozialismus übernommen haben.
Wie man sieht, wird nicht nur die Schuld einer Person (Michael) dargestellt, sondern das Schicksal einer ganzen Generation beleuchtet. Die vielfältige Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld könnte dabei auch auf biographische Aspekte zurückgeführt werden, da Schlink selbst als Juraprofessor tätig war und jetzt als Richter am Verfassungsgerichtshof in Nordrhein-Westfalen tätig ist. Somit hatte und hat er täglich mit der Thematik Schuld zu tun.
Vorleser ist ein Buchvon Bernhard Schlink, was im Deutsch Unterricht behandelt wird. Es ist ein Aufsatz, Erörterung bzw. Interpretation zu Michael und Hanna. Themen sind Schuld, Charakterisierung etc aus „Der Vorleser“.