Eine Erörterung zu dem Ausspruch Voltaires: „Ich missbillige, was du sagst, aber bis in den Tod werde ich dein Recht verteidigen es zu sagen.“
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Voltaire, Aufklärer und Wegbereiter der französischen Revolution, übte Kritik an den Missständen des Absolutismus und der Feudalherrschaft, sowie am Machtmonopol der Kirche. Er kämpfte für die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, jedoch nicht in puncto Status oder Besitz. Sein oft zitierter Ausspruch: „Ich missbillige, was du sagt, aber bis in den Tod werde ich dein Recht verteidigen es zu sagen.“ wirkt zunächst paradox. Bei näherer Betrachtung schwingt jedoch im Wort „Recht“ die Gerechtigkeit mit, für die Voltaire eintritt. Bei der Formulierung: „bis in den Tod“ muss man unweigerlich an einen Kampf auf Leben und Tod denken und sich die Frage stellen, ob ein solcher für das Recht eines anderen seine Meinung zu äußern angemessen ist.
In der europäischen Gesichte hat es einen solchen Kampf gegeben. Im Jahre 1789 kämpften in Frankreich hunderte unterdrückte Menschen für das Recht, ihre eigene Meinung sagen zu können und wurden dabei von revolutionären Philosophen und Vertretern der Aufklärung unterstützt. Voltaire war nur einer von ihnen, der besonders in Erinnerung geblieben ist. Doch trotz der Bemühungen vieler verschiedener Menschen wurden Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit während der französischen Revolution nicht vollständig und schon gar nicht weltweit durchgesetzt. Während der Zeit der Nationalsozialisten in Deutschland waren solche Rechte nahezu vollkommen unterdrückt, wie es ein Merkmal aller Diktaturen ist. Erschreckend ist, dass es auch in der heutigen Zeit, in der sich Meinungsfreiheit als natürliches Recht in den Köpfen der meisten Menschen durchgesetzt hat, noch immer Diktaturen gibt. Länder, in denen die Freiheit des Individuums erheblich eingeschränkt ist, werden von „Freedom House“, einer internationalen Organisation mit Sitz in Washington, als „unfrei“ eingestuft. Derzeit existieren 45 unfreie Staaten auf der Welt, also fast ein viertel aller Staaten. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass sich in den letzten dreißig Jahren der Trend zur Demokratie deutlich verstärkt habe. Doch auch in einer freiheitsliebenden Demokratie, wie sie zum Beispiel zur Zeit in Deutschland herrscht, gibt es immer noch Menschen, dich sich nach der Diktatur zurücksehnen. Sogenannte Neo-Nazis dürfen in Deutschland frei ihre Meinung äußern und Parteien gründen (sofern diese nicht gegen die Verfassung verstoßen), obwohl sie selbst eine Staatsform favorisieren, die solche Rechte einschränkt. Ein Paradoxon, dass sich eins zu eins mit dem des Ausspruchs Voltaires vergleichen lässt.
Ein anderes aktuelles Beispiel zur Durchsetzung und Ausweitung der Gerechtigkeit, die Voltaire forderte, lässt sich im heftig diskutierten Vorschlag einiger Politiker finden, ein Wahlrecht von Geburt an zu vergeben. Dahinter steckt die Idee, dass es die Kinder sind, die unter den Entscheidungen leiden werden, an denen sie nicht teilhaben durften. Wenn jedes Kind eine Stimme hätte, gäbe es rund 14 Millionen zusätzliche Wahlberechtigte in Deutschland. In einer Gesellschaft, in der zur Zeit der politische Einfluss der über-60-Jährigen immer weiter wächst wäre damit die aus den Fugen geratene Gerechtigkeit wieder hergestellt. Einige der Beführworter des Kinderwahlrechts, unter ihnen der Münchner Jurist Klaus-Peter Merk, gehen sogar so weit, die Altersgrenze beim Wahlrecht als Verstoß gegen die Menschenwürde zu bezeichnen. Zum Hauptargument gegen das Kinderwahlrecht, Kinder seien unreif und zu leicht zu beeinflussen, führen dessen Beführworter die tatsache ins Feld, dass auch Frauen lange als unmündig angesehen wurden und deswegen nicht wählen durften.
Darüber, ob eine solch radikale Durchsetzung der Meinungsfreiheit in Voltaires Sinne gewesen wäre, lässt sich heutzutage nur noch streiten. Fest steht, dass das Wahlrecht an sich eben jene Gleichheit und Freiheit aller Menschen durchsetzt, die Aufklärer wie Voltaire gefordert hatten.
Allerdings sollte man sich die Frage stellen, wie weit die Freiheit des Einzelnen gehen darf. Verschiedene Meinungen, die hartnäckig vertreten werden, führen zu Konflikten, die schnelle Entscheidungen und die Durchsetzung von Problemlösungen verzögern oder gar gänzlich verhindern und so eine möglicherweise dynamische Gesellschaft lähmen.
Andererseits kann Verbesserung nur durch Kritik hervorgerufen werden, welche wieder darauf aufbaut, dass verschiedenste Ansichten vorhanden sind, die zu Vielfältigkeit der Standpunkte, Meinungsaustausch und Diskussion anregen.
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Meiner Meinung nach ist die Forderung Voltaires nur so weit durchzusetzen, wie es möglich ist, ohne gleichzeitig mit der eigenen Freiheit der Meinung die Freiheit eines anderen einzuschränken oder dessen Würde zu verletzen. Auch sollte sich niemand durch eine Überschätzung der Meinungsfreiheit dazu genötigt fühlen, seine eigene Meinung preiszugeben. Die Privatsphäre des einzelnen muss gewahrt werden, ohne dass man sich selbst oder einen anderen zwingt, von der Freiheit, die eigene Meinung zu vertreten, Gebrauch zu machen. Das Recht einer Enthaltung sollte stets erhalten bleiben.
Ein Kampf auf Leben und Tod für die Meinungsfreiheit kann nur dann sinnvoll sein, wenn diese Freiheit allgemein gültig ist und anerkannt wird und von niemandem als „Zwang zur Freiheit“ verstanden wird.