Die Inhaltsangabe oder das Textreferat

oder

Wie fasse ich zusammen?

oder

Warum fasse ich überhaupt zusammen?

Die vermutlich meist gestellte Aufgabe in Klausuren ist diese: Fasse den vorliegenden Text zusammen! Oder: Schreibe eine Inhaltsangabe / ein Textreferat zum vorliegenden Text! Oder: Gib die wichtigsten Aussagen des vorliegenden Textes in eigenen Worten wieder!

Ob im Deutsch-, Fremdsprachen-, Politik- oder Geschichtsunterricht; an der Textzusammenfassung kommt ein Schüler heute nicht mehr vorbei. Zwischen Inhaltsangabe und Textreferat besteht übrigens prinzipiell kaum ein Unterschied. Von einer Inhaltsangabe spricht man eher bei literarischen Texten, von einem Textreferat bei Sachtexten. Das Textreferat stellt daher auch dar, wie der Autor des Sachtextes zum Inhalt steht („Der Autor kritisiert…“, „…stellt fest…“, „…schlägt vor…“ usw.).

Dieser Aufsatz wählt einen anderen Ansatz, dir das Schreiben einer Zusammenfassung zu vereinfachen, als übliche, vom Lehrer ausgeteilte Anleitungen.

Indem er nämlich der Frage nachgeht, warum eine Inhaltszusammenfassung überhaupt notwendig ist, wendet er sich direkt an dein Gehirn. Dein Gehirn fragt nämlich bei jeder Arbeit, die es vollbringen soll – zum Beispiel einen Text zusammenfassen -, ob es sich überhaupt lohnt, diese Arbeit zu machen. Das liegt daran, dass Denken viel Energie verbraucht und unser Gehirn möglichst energiesparsam haushalten möchte. Unsere Vorfahren vor vielen tausend Jahren hatten nämlich nicht immer so viel zu essen, wie wir heute in der westlichen Welt. Je mehr also gedacht wurde, desto mehr Energie, also Nahrung, musste man zu sich nehmen. In nahrungsknappen Zeiten überlegt sich das Gehirn dann natürlich sehr genau, ob es diese oder jene Denkarbeit denn unbedingt verrichten müsse. Du weißt vielleicht, dass sich unser heutiges Gehirn kaum von dem unserer damaligen Vorfahren unterscheidet, und dementsprechend überlegt sich unser Gehirn auch heute noch ganz genau – während jeder Klausur – ob es sich lohnt, sich für ein Textreferat anzustrengen.

Da in der Schule deinem Gehirn diese Frage generell nicht zufrieden stellend beantwortet wird, ist die einzige Motivation für dein Gehirn, sich anzustrengen, die angestrebte gute Note. Das reicht häufig nicht aus! Das Gehirn beantwortet dann häufig für sich die Frage mit NEIN und du kannst dementsprechend nicht alles aus dir herausholen.

Dieser Text möchte deinem Gehirn daher seine Frage mit einem dicken JA beantworten und aufzeigen, warum Inhaltsangaben wichtig und sinnvoll sind und warum es sich lohnt, dafür auch mal einen Apfel mehr zu essen.

Was ist das überhaupt – eine Inhaltsangabe…? Na klar, eine Zusammenfassung eines Textes, die etwa ein Drittel des Originaltextes umfassen soll, aus Einleitungssatz und Hauptteil besteht, im Präsens geschrieben wird und die Ansicht des Autors in der indirekten Rede (Konjunktiv I) wiedergibt (letzteres gilt fürs Textreferat).

Aber allgemeiner – was meinen wir, wenn wir von der An-/Wiedergabe des Inhalts reden?

Dazu sollten wir uns überlegen, woraus ein Text eigentlich besteht. Ob historische Quelle, aktueller Zeitungsartikel, schöne Literatur, wissenschaftliche Arbeit, gesprochene Worte oder Gedanken – auch das sind Texte! -; ein Text besteht immer aus zwei Ebenen: der inhaltlichen und der Sprachebene. Immer wenn kommuniziert wird, werden sachliche Informationen verpackt in die Sprache. Wie wir sprechen, also welche Worte wir wählen, welche sprachlichen Bilder wir verwenden, in welchem Stil wir schreiben usw. hinterlässt einen Eindruck beim Leser, ist aber (zunächst einmal) unabhängig vom Inhalt, von den Sachinformationen zu betrachten.

Während eine Textanalyse sich also auf die sprachliche/formale Ebene des Textes bezieht und eine Interpretation Sprache und Inhalt in einen Zusammenhang bringt und weiterdenkt sowie die Intention des Autors untersucht1, soll sich eine Inhaltsangabe – wie der Name schon sagt – nur mit dem Inhalt auseinandersetzen! Außerdem soll in einer Inhaltsangabe nur eine Auswahl der wichtigsten Inhalte des Textes getroffen werden, der Inhalt wird also verkürzt wiedergegeben.

Ein Beispiel aus Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“; vierter Akt, zehnte Szene: Elisabeths Monolog:

Oh, der ist noch nicht König, der der Welt

Gefallen muß! Nur der ist’s, der bei seinem Tun

Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.

Inhalt: „Elisabeth definiert, ein König sei ein unabhängiger Herrscher, der bei seinen Entscheidungen keines Zweiten Meinung berücksichtigen müsse.“

(Anmerkung: Diese Zusammenfassung ist deutlich länger als ein Drittel der Vorlage. Das ist bei der Zusammenfassung von Dialogen auch kaum zu vermeiden. Die Ein-Drittel-Maßgabe gilt also bei Dramen und Lyrik nicht.)

Sprache: „Die Interjektion ‚Oh’ und das Ausrufezeichen sind Ausdruck von Leidenschaft respektive Leid. […] Dass Elisabeth als Königin die männliche Form ‚König’ der weiblichen vorzieht, obwohl sie eigentlich von sich redet (s. Interpretation) ist ein Hinweis auf ihre Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht und macht außerdem deutlich, dass ihrer Meinung nach der ideale König männlich zu sein hat.“

Interpretation: „Elisabeth sieht sich nicht als wahre Königin Englands. Sie fühlt sich unfrei in ihrer Entscheidungswahl und abhängig von der Volksauffassung. […]Ihre Definition eines Königs kommt der im späteren Absolutismus gleich, de facto aber auch der Regierungsweise ihres Vater Heinrich VIII. […] Schiller präsentiert, indem er Elisabeth die männliche Form ‚König’ in den Mund legt, seine eigene Auffassung eines idealen Herrschers. […]“

Du siehst, was aus einem Text alles herauszuholen ist, wenn man seine Sprache betrachtet, den (historischen, politischen, gesellschaftlichen …) Kontext der Schrift und die Intention des Verfassers; wir sagen dazu auch: zwischen den Zeilen lesen.

All das ist aber nicht Aufgabe der Inhaltsangabe. Die Inhaltsangabe präsentiert nur die nackten Informationen eines Textes, und selbst das möglichst in verkürzter Form.

Nun also die von deinem Gehirn heiß ersehnte Antwort auf die Frage „Warum denn schon wieder eine Inhaltsangabe…?“

Immer wieder in unserem Leben sind wir mit Texten konfrontiert. Ganz egal, ob uns die Freundin am Telefon zutextet, wir Zeitung lesen oder – was auch ab und an mal vorkommt – denken.

Mit der Inhaltsangabe in der Schule lernen wir, Inhalt von Sprache zu trennen und genau so können wir später beim Telefonat die Informationen aus dem ganzen Gelaber herausfiltern, bei der Zeitungslektüre unterscheiden, ob der Autor versucht, möglichst objektiv zu berichten oder seine eigene Meinung einschmuggelt, und aus unserem eigenen Gedankensalat die Quintessenz am Schopf packen.

Des Weiteren ist die Inhaltsangabe immer ein Indikator dafür, dass du den Text verstanden hast. Immer wenn du einen Text liest und verstehst, führst du im Kopf schon eine Vorstufe der Inhaltsangabe durch. Du ordnest nämlich die im Text vorkommenden Fakten in ein logisches Muster. Als Beispiel eine fiktive Konversation zwischen Käthe und Egon:

Käthe: „Na super! Wenn das so weitergeht mit der Wirtschaft, dann steht uns am Ende noch ein zweiter Holocaust bevor.“

Egon: „Also Käthe, du Dummchen! Was hat denn die Wirtschaft mit einem Völkermord zu tun?“

Käthe: „Aber Egon! Du bist ja einer…eine ganze Menge natürlich! Damit er den Holocaust initiieren konnte, muss Hitler erst einmal an die Macht kommen. Das geschah 1933 infolge der labilen Mentalität der Deutschen zu der Zeit. Ein Grund dafür ist die Weltwirtschaftskrise 1929, die auch die deutsche Bevölkerung in große Armut stürzte, nachdem sie sich in den so genannten Goldenen Zwanzigern gerade von den Folgen des ersten Weltkriegs erholt hatte. In dieser Lage erschien vielen Hitler als der richtige Mann, der endlich mal Ordnung in den Laden der ungeliebten Weimarer Demokratie bringen konnte.

In Krisenzeiten wird häufig ein Macher herbeiersehnt. Der eine Held, der das Land aus dem Tief hieven soll. Wir befinden uns gerade in einer Krisenzeit. Das macht mir Angst, weil ich die historische Parallele sehe, lieber Egon.“

Egon: „Ach, so ist das, Käthe. Danke für die aufschlussreiche Information, Käthe.“

Käthe: „Bitteschön, Egon. Kriege ich einen Kuss?“

Egon: „Natürlich Käthe, einen ganz dicken.“

Da du den Text verstanden hast, kannst du sicher die relevanten Informationen aus dem Scheißgelaber herausfiltern und strukturieren. Wichtig sind hier die von Käthe vorgestellte Wirkungskette und die ebenfalls von ihr aufgestellte historische Parallele zur heutigen Situation. Nun kannst du diese Informationen in logische Zusammenhänge stellen. Zwei Beispielmethoden, die sich hier anbieten:

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1. Die Wirkungskette/Kausalkette

Käthe erwähnt einige relevante Informationshappen: Holocaust…Machtergreifung Hitlers 1933…Weltwirtschaftskrise 1929…Armut…Goldene Zwangziger…Erster Weltkrieg…Krisenzeiten…Macher…historische Parallele…

Diese Informationshappen sind verbunden durch Wörtchen wie: damit (Zweck)…infolge…ein Grund dafür…nachdem…weil

Diese Informationen kann man mit Hilfe von Wirkungsketten darstellen. In einer Wirkungskette wird eine Wirkung als Folge einer Ursache gesehen, diese Ursache wieder als Folge einer weiteren Ursache usw. Zwischen den einzelnen Elementen, die wir eben als Informationshappen auffassten, stehen kleine Wörtchen wie: daher, deshalb, dann, anschließend, daraus folgt, also, zurückzuführen auf, folglich…

Zu Käthes Gedankengang ist, unter anderem, folgende Kette denkbar:

Weltwirtschaftskrise 1929 –> labile Mentalität i Dtl. –> Wunsch nach einem Macher –> Machtergreifung Hitlers 1933 –> Holocaust

Die Kette ist noch nicht komplett. Käthe hat nämlich noch eine wichtige Information gegeben. Sie sagt, „ein Grund“ für die Mentalität der Deutschen sei die Weltwirtschaftskrise gewesen. Sie war also nicht der einzige Grund. Historisch relevant sind mindestens noch die Demokratieverdrossenheit (auf die Käthe auch anspielt) und der Versailler Vertrag. Und selbst dies sind höchstens die wichtigsten Gründe für die Anfälligkeit der Deutschen gegenüber einem Führer. Tatsächlich gibt es unvorstellbar viele Gründe, und zwar für jedes Ereignis auf der Welt. Vielleicht war am Wahltag zum Beispiel schlechtes Wetter, was die Stimmung weiter gedrückt hätte. Wir wollen hier etwas ganz wichtiges festhalten: Kein Ereignis auf dieser Welt ist monokausal, hat also nur einen Grund, sondern es gibt immer mehrere, real wohl unendlich viele Gründe. Da wir diese gar nicht alle erfassen können und schon gar nicht aufschreiben wollen, müssen wir anerkennen, dass eine Kausalkette immer ein Modell ist, also nur ein idealisiertes Abbild der Wirklichkeit, das nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden darf.

Nichtsdestotrotz ist die Kausalkette ein wichtiges Instrument, um Fakten logisch zu ordnen und zu verbinden.

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2. Der Syllogismus

Käthe macht sich Sorgen, dass unsere aktuelle Finanzkrise uns in eine Holocaust-ähnliche Katastrophe reiten könnte. Wenn wir uns fragen, warum sie sich Sorgen macht, erkennen wir eine logische Struktur dahinter. Schon Aristoteles hat im vierten Jh. v. Chr. diese Grundstruktur logischen Denkens, die wir alle bewusst oder unbewusst beherrschen, erkannt und Syllogismus genannt, das altgriechische Wort für „logischer Schluss“.

Beim Syllogismus schließen wir aus zwei Voraussetzungen (2 Prämissen) eine Schlussfolgerung (Konklusion).

Ein simples Beispiel:

I. Prämisse: Alle Rassisten sind Arschlöcher.

II. Prämisse: Adolf ist ein Rassist.

–> Konklusion: Adolf ist ein Arschloch.
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In Käthes Kopf hat sich folgendes abgespielt:

1. „In Krisenzeiten wird häufig ein Macher herbeigesehnt.“ Dies kann schreckliche Folgen haben. (Beispiel Hitler)

2. „Wir befinden uns gerade in einer Krisenzeit“

–> Es besteht eine überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit („häufig“), dass auch wir einen Macher herbeisehnen werden. Dies könnte schreckliche Folgen haben.

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Auch ohne den Syllogismus explizit zu kennen und ohne jemals eine Kausalkette gesehen zu haben, denken wir in diesen Mustern. Das sind auch nur zwei von vielen Möglichkeiten, einen Text zu strukturieren. Doch es ist sehr hilfreich, diese Methoden ab und zu explizit anzuwenden, damit du sie immer leichter aus Texten erkennen kannst.

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Du siehst, wie viel die Inhaltsangabe bzw. das Textreferat mit unserem Leben zu tun hat. Denn immer wieder in unserem Leben sehen wir uns mit Textstrukturen konfrontiert, die wir auch aus dem zusammenzufassenden Text erst einmal herausarbeiten müssen, um das Textreferat zu schreiben. Wenn du diese Strukturen bisher intuitiv herausgearbeitet hast, dann versuch jetzt mal, explizit auf sie zu achten. Eine Übersicht über die verschiedenen Textstrukturmöglichkeiten findest du hier.

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Ui! Wieder neues gelernt. Wieder Energie verbraucht. Vergiss nicht, zu essen, vor allem nicht das Frühstück! Unser Gehirn macht etwa 2% unseres Körpergewichts aus, verbraucht aber 20% der Energie.
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Friss, sodass du denken mögest.

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Inhaltsangabe oder Textreferat schreiben
Wissen verdoppelt sich, wenn man es teilt.
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