In der heutigen Zeit hört und liest man oft von der sogenannten Verrohung der Gesellschaft. Über Jahrhunderte und Jahrtausende gültige Werte und Vorstellungen werden in immer größerem Ausmaße hinterfragt. Praktisch zeitlos steht in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Benehmen im Alltag im Raum. Wie soll der Mensch sich in seinem täglichen Umgang mit anderen am besten verhalten? Was sind eigentlich “gute” Manieren? Jeder hat hier höchstwahrscheinlich unterschiedliche Vorstellungen, die außerdem von Generation zu Generation variieren. Was in der Jugend der Generation der 1940er als selbstverständlich empfunden wurde, gilt heutzutage als altmodisch und überholt. Diese Palette an Normen ist sehr breit gefächert; sie reicht von Tisch- und Begrüßungssitten bis hin zu allgemeinen Umgangsformen.
Manieren sind Spielregeln für den Umgang miteinander. Es existieren allgemeine Vorstellungen darüber, wie die Menschen einander begegnen und miteinander interagieren sollten.
Unter guten Manieren verstehen die meisten Menschen die Einhaltung der allgemein gültigen Verhaltensregeln Dazu zählt aufmerksames, hilfsbereites und respektvolles Verhalten gegenüber anderen Menschen. Diese kann man als Grundlage für alle weiteren Normen, die den Umgang mit anderen direkt betreffen, betrachten. Baut man auf ihnen auf, entwickelt man automatisch ein gewisses Feingefühl dafür, welche Art von Benehmen in einer spezifischen Situation angebracht ist und welche weniger.
Das Verhalten einer Person hat selbstverständlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Bild, das andere sich von ihr machen. Der erste Eindruck ist prägend, er wird fast ausnahmslos nie wieder vom Gegenüber vergessen. Betrachtet man diesen genauer, stellt sich heraus, dass beispielsweise bei einer Konversation der Inhalt des Gesagten eine vergleichsweise kleine Rolle spielt. Im Gegenteil, es wird unbewusst viel mehr auf den Tonfall, die Körpersprache und die Ausdrucksweise geachtet. Dieser Umstand ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Personen mit einem Minimum an Manieren, betrifft es nun die passende Wortwahl oder auch lediglich viel subtilere Umgangsformen wie Augenkontakt, klar im Vorteil liegen. Dies wirkt sich zum Beispiel beim Gespräch mit potenziellen Arbeitgebern durchwegs positiv aus.

Das Wissen um das richtige Verhalten ist also essentiell, einerseits um sich in ganz alltäglichen Situationen vor peinlichen Missgeschicken zu schützen, andererseits kann damit eventuell sogar die berufliche Zukunft entscheidend beeinflusst werden. In manchen Branchen sind eine gute Menschenkenntnis und perfekte Umgangsformen unerlässlich; vom Kellner und Verkäufer angefangen bis zum Diplomaten. Allerdings sind trotz mannigfacher wissenschaftlicher Studien und Umfragen, trotz einschlägiger Literatur (in Print und Video) und entsprechenden Seminarangeboten weder Ausbildungsstätten noch Vorstandsetagen zur gezielten Vermittlung von guten Manieren innerhalb Ihrer Institution oder ihres Unternehmens bereit. Wer jedoch heute den „Mehrwert“ von guten Manieren erkennt, wird in der Zukunft die Nase vorne haben.

Andererseits darf bei der Forderung nach guten Manieren auch Folgendes nicht außer Acht gelassen werden: Inwiefern können wir selbst diese, speziell in der Kinder- und Jugendzeit, überhaupt beeinflussen? Der Großteil scheint offensichtlich ein Produkt der Wertevermittlung zu sein, die jeder Generation durch die Vorherige zuteil wurde. Diese wird daraufhin ab einem gewissen Entwicklungsstadium in Frage gestellt, kritisch hinterfragt und dem gerade herrschenden Zeitgeist angepasst, sodass sich zumindest alle paar Generationen eine Änderung beziehungsweise Umwälzung der Werte vollzieht. Galt es vor ca. 100 Jahren in unserem Land noch als Fauxpas, oder sogar als Verstoß gegen die guten Sitten, sich als Frau in einem kniefreien Kleid und rauchend in der Öffentlichkeit zu bewegen, so dürfte dies heutzutage hier kaum noch jemanden schockieren.
Derartige Vorschriften zählen nur teilweise bedingt zu dem Begriff „gute oder passende Umgangsformen“. Viel wichtiger erscheint mir die grundsätzliche, positive Einstellung zu anderen Menschen; die Frage, ob man in der Lage ist, eine Salatgabel in einem vornehmen Restaurant nach dem Essen an der richtigen Stelle zu platzieren ist eher nebensächlich.

Die pedantische Beharrung auf der Einhaltung solcher Vorschriften zeugt eher von Kleinlichkeit als vom tatsächlichen Verständnis der Bedeutung dieses Begriffs. Daher erscheint es mir nicht sehr zielführend, zu viel Wert auf das Erlernen dieser und ähnliche, in bestimmten gesellschaftlichen Schichten vorherrschenden Normen zu legen.
Alleine schon aus dem Grund, dass man es, global betrachtet, aufgrund der herrschenden kulturellen Unterschiede, die auch diesen Bereich des Lebens betreffen, ohnehin nicht immer jedem recht machen kann. Verhaltensweisen, die in unserem Erdteil zum guten Ton gehören, gelten teilweise in gewissen Ländern oder Kontinenten als ungehobelt oder gar schwere Beleidigung. Das Geben von Trinkgeld sowie das Suchen von Blickkontakt bei der Begrüßung beispielsweise werden in Japan als grob unhöflich angesehen.

Darüber hinaus sollte es vermieden werden, gute Manieren in einer Form auszuüben, die ausschließlich gekünstelt und gestellt wirkt. Authentizität gehört ebenso dazu und sollte auf keinen Fall vernachlässigt werden. In manchen Situationen wäre sie sogar eher angebracht. Es würde manchmal wesentlich zur schnelleren Lösung eines Problems/Konfliktes beitragen, wenn ein jeder einfach ausspricht was er oder sie denkt anstatt wegen der gebotenen „Höflichkeit“ zu schweigen und sich selbst und anderen etwas vorzutäuschen.
Nichtsdestotrotz kann man viele Normen, die Umgangsformen betreffen, als wertvolle Bereicherung unserer Kultur ansehen, die sich durch sämtliche Bereiche unseres täglichen Lebens zieht und uns alle maßgeblich beeinflusst.

37277be437fa4df1a27454b2ccbe5ab4 - Erörterung über Manieren
Erörterung über Manieren
Wissen verdoppelt sich, wenn man es teilt.
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